Personenfreizügigkeit – Mehr Informationen haben keinen Einfluss auf die Meinungsbildung

Europa

Im Zuge der Annahme der Masseinwanderungsinitiative (MEI) wurde oft behauptet, die Schweizer Stimmbürger hätten potentiell anders abgestimmt, wären sie im Vorfeld der Abstimmung über die Auswirkungen der MEI besser informiert worden. Die Ergebnisse einer Umfrage zeigen im Gegenteil, dass mehr faktische Informationen die Meinungen von Herr und Frau Schweizer kaum beeinflussen.

Kontext

2014 haben die Schweizer Stimmbürger die Masseinwanderungsinitiative (MEI) mit 50,3 Prozent Ja-Stimmen angenommen. Die Initiative fordert eine Beschränkung der Zuwanderung in der Schweiz durch die Festlegung jährlicher Höchstzahlen. Eine solche Regelung hinterfragt das Abkommen zur Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der EU. Das Abkommen ist Bestandteil der Bilateralen Verträge I, einem Paket von 7 Abkommen, darunter auch ein Handelsabkommen mit der EU. Im Spannungsfeld zwischen einem Verfassungsauftrag der die Zuwanderung beschränkt einerseits und der Zentralität der Personenfreizügigkeit für die EU anderseits ist es zu einer Schwächung der schweizerisch-europäischen Beziehungen gekommen.

Relevanz

Im Zuge der Annahme der MEI wurde oft behauptet, die Stimmberechtigten seien im Vorfeld der Abstimmung über die Konsequenzen der Initiative nicht genügend informiert worden. Den Initianten wurde vorgeworfen eine inhaltsarme Kampagne geführt zu haben. Gemäss diesem Argument hätten Herr und Frau Schweizer potentiell anders abgestimmt, wären sie über die Auswirkungen der MEI, insbesondere auch in Bezug auf die bestehenden Regeln zur Personenfreizügigkeit (PFZ), besser informiert gewesen.

Ob eine verbesserte Informationslage die Haltung der Bürger gegenüber der PFZ deutlich beeinflussen würde, ist im Schweizer direktdemokratischen Kontext hochrelevant. Obwohl das Schweizer Parlament im Dezember des vergangenen Jahres einer EU-kompatiblen Umsetzung der Initiative zugestimmt hat, hängt weiterhin ein Damoklesschwert über der aktuellen Kompromisslösung. Einerseits fordert die RASA-Initiative den MEI Artikel ersatzlos zu streichen. Anderseits hat die Aktion für eine Unabhängige und Neutrale Schweiz (AUNS) beschlossen, mit der Unterschriftensammlung für eine Kündigungsinitiative zur PFZ noch in diesem Jahr zu beginnen. Die PFZ dürfte folglich auch in den kommenden Jahren ein Zankapfel bleiben.

Ergebnisse

Laut einer Umfrage, an der zwischen Januar und März 2017 1564 Schweizer teilgenommen haben, beeinflussen mehr faktische Informationen die Ansichten der Stimmbürger über die PFZ nicht1. Die Umfrageteilnehmer wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt. Die erste Hälfte der Teilnehmer erhielt vor der Befragung über ihre persönliche Meinung zur PFZ faktische Informationen zum Thema in der Form eines interaktiven Quiz. Bei der anderen Hälfte war dies nicht der Fall. Mit oder ohne vorgängige Informationen blieb sich der prozentuale Anteil der Befragten, der die PFZ befürwortet beziehungsweise ablehnt, in den beiden Teilstichproben gleich.

Die Studie hebt überdies die wesentliche Rolle des Vertrauens in die Informationsquelle hervor. In Fällen in denen ein solches Vertrauen fehlt, kann die Bereitstellung von Informationen sogar kontraproduktiv sein. Im Quiz, welches die eine Hälfte der Teilnehmer der Umfrage vorgängig über die PFZ informierte, wurden Zahlen und Fakten der Schweizer Bundesverwaltung verwendet. Unter den Probanden ohne vorgängige Information, die Angaben Informationen der Bundesverwaltung skeptisch gegenüberzustehen und die zudem die effektive Zahl der Zuwanderer überschätzten, sprachen sich 64% für eine Beschränkung der Zuwanderung aus. In der Gruppe mit vorgängiger Information befürworteten 78% der Probanden mit dem gleichen Profil (geringes Vertrauen, Überschätzung der effektiven Zuwanderungszahlen) eine Beschränkung der Zuwanderung (+14%). Dies obwohl sie explizit darauf hingewiesen worden waren, die effektiven Zuwanderungszahlen überschätzt zu haben! Umgekehrt konnte ein solcher kontraproduktiver Effekt von zusätzlicher Information unter Umfrageteilnehmern, die Angaben der Information der Bundesverwaltung zu vertrauen, nicht festgestellt werden. Dies zeigt auf, wie entscheidend die persönliche Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit der Informationsquelle ist.

Folgerungen

Wie alle sozialwissenschaftlichen Studien stützt sich auch diese auf gewisse methodologische Annahmen. Vor diesem Hintergrund widerlegt sie politische Aussagen, wonach mehr faktischen Informationen die Haltung der Schweizer Bürger gegenüber der PFZ unweigerlich verbessern würden. Die Studie zeigt im Gegenteil auf, dass Informationskampagnen sogar unerwünschte Nebenwirkungen haben könnten. Sollte es das Ziel sein, die Unterstützung für die PFZ im Volk weiter auszubauen, würden Informationen alleine also kaum ausreichen. Stattdessen müssten die Stimmbürger von den positiven Aspekten der PFZ überzeugt werden, sei es durch konkrete Veränderungen in ihrer Funktionsweise oder derjenigen der flankierenden Massnahmen, sei es durch die Ausbreitung einer neuen Vision. In beiden Fällen bietet Macrons Frankreich interessante Denkanstösse. Einerseits zeichnet sich der Diskurs der Regierung Macron durch eine neue und offen pro-Europäische Qualität aus. Andererseits hat Macron die Neuverhandlung der EU-Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern zur Priorität gemacht.

Der Autor möchte sich bei Ladina Schröter für das Gegenlesen und die hilfreichen Kommentare bedanken.

Die französischsprachige Version dieses Blogs kann hier gefunden werden.

Die Studie kann direkt beim Autor  bezogen werden.