Nach dem Begräbnis das Buffet: Schweizer Aussenhandelspolitik nach dem Tod der Doha-Runde

Finanzplatz

Von Johannes Rühl – Im Lichte des drohenden Verhandlungsabbruches bei der Doha-Runde der WTO sollte sich die Schweiz für die Rettung des Erreichten einsetzen. Damit soll das Abgleiten der WTO in die Irrelevanz verhindert werden.

Nach langem Kampf am Sterbebett dürfte diese Woche die Doha-Runde endlich in die Ewigkeit entlassen werden. Die WTO-Mitglieder werden am 22. Juni über das Schicksal dieser Verhandlungsrunde befinden, und die Möglichkeit eines teilweisen Abbruches wird ernsthaft diskutiert. Die hehren Versprechen der Doha-Konferenz von 2001, als mit Marktöffnung und Subventionsabbau im Norden die Armut und Unterentwicklung im Süden bekämpft werden sollte, hätten damit ihre letzte Ruhestätte auf dem Boden des Genfersees gefunden.

Was bedeutet dieses Fiasko der Welthandelsorganisation für die Schweizer Aussenhandelspolitik? Die Exportwirtschaft der Schweiz hätte von einer Marktöffnung für Industriegüter und Dienstleistungen in den Schwellenländern sicher profitiert. Zudem dienen strengere Handelsregeln dem allgemeinen Handelsfrieden. Kann das SECO noch etwas ausrichten in diesem Spiel, welches von den Handelsgrossmächten abgepfiffen wurde? Oder wird in Zukunft der Welthandel nur noch ausserhalb der WTO, durch ein Wirrwarr von bi- und plurilateralen Abkommen gesteuert werden?

Die Schweiz strebt zwar ebenfalls nach neuen bilateralen Freihandelsabkommen. Im Moment verhandelt das SECO zum Beispiel unter anderem mit China, Indien und Russland. Auf lange Sicht sind multilaterale Regeln aber vorzuziehen: so züchtigen sich die Grossen gegenseitig, und die Kleinen, wie die Schweiz, profitieren davon. Deshalb sollte sich das SECO dafür einsetzen, die WTO, und damit die multilaterale Ebene, relevant zu erhalten.

Welche Dossiers können gerettet werden?

Die grossen Einschnitte bei Agrar- und Industriezöllen, sowie bei den Agrarsubventionen in Europa, Nordamerika und Japan sind mit einer Stillegung der Doha-Runde vorerst vom Tisch. Dies ist für die Schweizer Bauern erfreulich, für die Konsumenten sowie die Exporteure aus dem Industrie- und Dienstleistungsbereich jedoch weniger. Das Handtuch sollte aber noch nicht geworfen werden, denn es können einige Schätze vom sinkenden Schiff gerettet werden:

Der Zoll- und Quotenfreie Marktzugang für die am wenigsten entwickelten Länder der Welt (LDCs), welcher bereits 2001 versprochen wurde, die Abschaffung der Exportsubventionen für Agrargüter (2005 in Hong Kong beschlossen) sowie strengere Regeln für Nahrungsmittelhilfe sollten in verbindliche internationale Abkommen gefasst werden (im Moment bestehen diese Konzessionen nur als Ministerdeklarationen). Diese könnten dann vor der WTO eingeklagt werden. Damit würde die eklatante Inkohärenz der Schweizer- und EU-Politik gegenüber Entwicklungsländern, wobei einerseits Projekte zur ländlichen Entwicklung gefördert werden, andererseits deren Märkte mit westlichen Produkten überschwemmt und Exportchancen verbaut werden, zumindest abgemildert werden. Die Schweiz könnte eine prominente Rolle bei dieser Institutionalisierung spielen, indem sie alle eigenen Agrarexportsubventionen einstellt, und einen konkreten internationalen Vertragsvorschlag vorlegt.

Variable Geometrie auch in der WTO

Beim Marktzugang für Industriegüter sollte sich die Schweiz für plurilaterale sektorielle Abkommen einsetzen. Es könnten Übereinkommen im Bereich der mechanischen Industrie (Uhren, Metallverarbeitung) verfolgt werden. Ebenfalls sollte ein Liberalisierungsschub für Güter, welche zum Umweltschutz beitragen (zum Beispiel Solarpanels oder Windräder) angestrebt werden. Dies bedingt, dass das WTO-Prinzip, wobei alle Mitglieder allen Konzessionen zustimmen müssen („single undertaking“), zumindest vorübergehend aufgegeben würde. Die lange Leidensgeschichte der Verhandlungen zeigt, dass Flexibilität für Klub-Abkommen, wo gleichgesinnte Länder mitmachen können, dringend notwendig ist. So könnten der Schweizer Exportwirtschaft zumindest einige Brosamen zufallen.

Schliesslich sollten die bereits erreichten Verhandlungsfortschritte im Bereich der Handelserleichterungen ebenfalls in ein eigenes, multilaterales Abkommen überführt werden. Es scheint paradox, die Relevanz der WTO durch die temporäre Aufgabe zweier ihrer Grundprinzipien (single undertaking und voller Multilateralismus) retten zu wollen. Allerdings dient die Alternative, eine Zersplitterung des Regelwerkes ausserhalb der WTO, nur den stärksten Akteuren, und ist deshalb noch weniger erstrebenswert.

Schlechter als gut, besser als nichts

Ein verkleinertes Doha-Paket hätte gewichtige Opfer zur Folge: die Eingangs erwähnten Agrarsubventionen würden wohl noch jahrzehntelang die Weltmärkte verzerren. Eine Reihe kleinerer Dossiers, wie die Reform des Streitschlichtungsabkommens, der multilaterale Schutz der geographischen Herkunftsangaben und eine Disziplinierung der Baumwoll- und Fischereisubventionen würden wohl ebenfalls für längere Zeit kaltgestellt. Die mausarmen Westafrikanischen Baumwollproduzenten würden so weiterhin durch künstlich verbilligte Amerikanische Ware vom Weltmarkt verdrängt, und die staatlich finanzierte Überfischung der Weltmeere könnte ungestört weitergehen.

Andererseits könnte mit einem reduzierten Deal die zunehmende Bedeutungslosigkeit der WTO als Liberalisierungsplattform aufgehalten werden. Daran hat die Schweiz, nicht zuletzt als Sitzstaat, ein besonderes Interesse. Denn mit der UNCTAD existiert bereits eine grosse, bürokratische und weitgehend irrelevante Handelsorganisation in Genf. Dieses Schicksal sollte der WTO erspart bleiben.

Johannes Rühl doktoriert in Politikwissenschaft am Institut de hautes études internationales et du développement in Genf. Er ist Gast auf dem foraus-Blog.

Dieser erste von zwei Blogeinträgen zur Handelspolitik befasst sich mit der Zukunft der WTO nach der Doha-Runde. Ein zweiter wird spezifisch auf die Auswirkungen des Doha-Abbruches auf die Schweizer Agrarpolitik eingehen.

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