Iran in den Iden des März: Das Ende der Islamischen Republik?

Völkerrecht

Von Oliver Thommen Gemeinhin dienen Wahlen zur Legitimierung der Entscheidungsträger. Doch die iranischen Parlamentswahlen bringen die Islamische Republik nach 23 Jahren an einen Scheideweg und den Westen in Bedrängnis.

Schon vor Auszählung aller Stimmzettel war klar, wer die Parlamentswahlen gewonnen hat: Das Lager um Revolutionsführer Ali Khamenei konnte die meisten Stimmen auf sich vereinen. Präsident Mahmud Ahmedineschad hat dagegen verloren. Die meisten seiner Kandidaten wurden vom Wächterrat gar nicht erst zugelassen. Ein Jahr vor der Präsidentschaftswahl muss er sich fragen, wie seine Zukunft aussehen soll.

Denn Präsident Ahmedineschad steht nach einem Wirtschaftsskandal mit dem Rücken zur Wand: Ihm und vielen Mitstreitern könnte es das Amt kosten, weil sie den Staat um Milliarden betrogen haben. Während einige harte Gefängnisstrafen hinnehmen müssen, wird sich Präsident Ahmedineschad als erster Präsident überhaupt am 14. März vor dem Parlament rechtfertigen müssen. Ein Amtsenthebungsverfahren scheint nicht ausgeschlossen zu sein.

Schlagabtausch auf höchster Ebene

Die Wahlen sollten den Präsidenten in die Schranken weisen und ihm gleichzeitig bedeuten, dass bei den Präsidentschaftswahlen 2013 Parlamentspräsident Ali Laridschani in der Gunst der Hüter der Islamischen Republik stehen wird. Doch einige Faktoren könnten den Plan des konservativen Establishments, den Präsidenten kaltzustellen, noch gefährden:

Zum einen stossen sich diese am durch die Günstlingspolitik befeuerten, beinahe messianischen Personenkult des Präsidenten, da ein Bruch des moralischen Konsenses innerhalb der konservativen Geistlichkeit befürchtet wird. Dank Rückhalt in gewissen Teilen der Bevölkerung und innerhalb der Revolutionsgarden (Pasdaran) und der Basidschi-Milizen verfügt Präsident Ahmedineschad aber über die nötige Schlagkraft für ein Kräftemessen mit dem Revolutionsführer.

Daneben wird gemunkelt, dass der 72-jährige Ali Khamenei schwer krank sei. Würde ein Machtvakuum zu diesem Zeitpunkt entstehen, wäre dies zu Gunsten des Lagers um Präsident Ahmedineschad. Der Revolutionsführer scheint das zu wissen und hat in den Wahlen den treuen Ali Laridschani als Prätendent für das Präsidentenamt in Stellung gebracht.

Warten auf den Frühling im Iran

Revolutionsführer Khameneis Grundproblem liegt schliesslich darin, dass er seine natürlichen Gegenspieler zwecks eigenem Machterhalt ausgekegelt hat: In den letzten 23 Jahren wurden die Volksmudschahedin, die Säkularen, die Liberalen und schliesslich die Reformer als Feinde der Islamischen Republik stigmatisiert und ausgeschaltet. So dass nur Präsident Ahmedineschad und seine Anhänger übrigblieben und nun eine Gefahr für das altehrwürdige Führungskader um Revolutionsführer Khomeini werden, da sie deren religiöse Deutungshoheit in Frage stellen. Die Reformer um Mehdi Kerrubi und Mir Hossein Mussawi stehen unter Hausarrest; der Richelieu der iranischen Politik, Ali Rafsandschani, führt zwar den Schlichtungsrat an, verlor aber in den höheren Machtzirkeln an Bedeutung. Vor den Wahlen warnte er: „Das grösste Kapital, das wir zu Beginn der Revolution besassen, war die Unterstützung des Volkes.“

Diese Unterstützung für die religiösen Führer ist spätestens seit der Grünen Bewegung 2009 bei vielen und vor allem bei jungen urbanen Menschen verflogen. Während dieser Teil der Bevölkerung den liberalen Flügel der Geistlichkeit um Mir Hossein Mussawi unterstützt, hält der andere Präsident Ahmedineschad auf Gedeih und Verderb die Stange.

Flüchten nach vorne?

Die nächsten Monate werden wohl eine Weichenstellung innerhalb der iranischen Politik bedeuten: Der scheinbar schwer kranke Ali Khamenei hat seinen Sohn Modschtaba vorausgeschickt, um Mir Hossein Mussawi zu treffen und ihn zu einem Burgfrieden zu animieren. Das von der innen- wie aussenpolitischen Situation geplagte Volk will von Revolutionsführer Khomeini zurückgewonnen werden, bevor ein Machtwechsel bevorsteht.

Präsident Ahmedineschad dagegen muss weiter auf Provokationen von aussen hoffen, da diese ihm seine gewohnte Rhetorik ermöglichen und ihm den Rücken in seinem Lager vorerst stärken und von innenpolitischen Problemen ablenken. Bei den Präsidentschaftswahlen dürfte er aber chancenlos sein, da er sowohl die liberalen, als auch konservative Iraner und Iranerinnen gegen sich hat. Wenn er sich nur noch auf seine Anhängerschaft und auf seine Getreuen in den Pasdaran und Basidschi verlassen kann, könnte es zu einem Staatsstreich oder Bürgerkrieg kommen und das Projekt Islamische Republik scheitert. Die einzige Chance für den Klerus: Eine Aussöhnung mit Liberalen und Reformern, um so die Strasse zurück zu gewinnen.

Oliver Thommen lebt in Basel, studierte Geschichte, Islamwissenschaft und Soziologie. Er ist Redaktor des foraus-Blog und Leiter der Arbeitsgruppe Identität Schweiz.

Der foraus-Blog ist ein Forum, das sowohl den foraus-Mitgliedern als auch Gastautoren/innen zur Verfügung gestellt wird. Die hier veröffentlichten Beiträge sind persönliche Stellungsnahmen der Autoren/innen. Sie entsprechen nicht zwingend der Meinung der Redaktion oder des Vereins foraus