Inkohärente Schweizer Entwicklungspolitik: Wirksame Hilfe allein reicht nicht

Entwicklungspolitik

Von Maria Barbara Stoll und Andreas Weber – Wirksame Entwicklungszusammenarbeit ist erstrebenswert. Noch wichtiger ist jedoch die übergeordnete Entwicklungspolitik. Die Schweiz sollte die Konsequenzen ihrer politischen Massnahmen dahingehend überprüfen, ob sie die Entwicklungschancen von Ländern des Südens beeinträchtigen.

Die diesjährige Jahreskonferenz von DEZA und SECO steht im Zeichen der Wirksamkeit. Die Gelder, welche die Schweiz für Entwicklungszusammenarbeit spricht, sollen möglichst effektiv eingesetzt werden. Die Wirksamkeit unserer Hilfe (aid effectiveness) ist ein wichtiger Anspruch. Entscheidend ist letztlich aber, dass die Länder des Südens ihre Entwicklungschancen packen können (development effectiveness). Um ihnen dabei keine Hindernisse in den Weg zu stellen, braucht die Schweiz zusätzlich zu einer wirksamen Entwicklungszusammenarbeit vor allem eine kohärente Entwicklungspolitik. Das heisst, dass in der Handelspolitik, der Landwirtschaftspolitik, der Sicherheitspolitik, der Migrationspolitik und anderen relevanten Bereichen darauf geachtet werden muss, Entwicklungsländer nicht zu benachteiligen. Meint es die Schweiz ernst mit ihren entwicklungspolitischen Zielen, dann muss sie mehr Kohärenz anstreben – durch eine Institution mit Biss.

Schlechte Noten wegen mangelnder Kohärenz

Die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit hat im internationalen Vergleich einen guten Ruf. Das Bild ändert sich jedoch, wenn die Gesamtheit der Schweizer Politiken auf ihre Entwicklungsfreundlichkeit überprüft wird. Während die Schweiz pro Jahr gegen zwei Milliarden Franken für Entwicklungszusammenarbeit ausgibt, kosten beispielsweise die Schattenseiten der Schweizer Handels- und Steuerpolitik Entwicklungsländer ein Vielfaches dieses Betrages (Schätzungen zur Steuerpolitik im Beitrag von Radio DRS). Eine weitere Vorstellung über das Ausmass der Inkohärenz der Schweizer Politik gibt der Commitment to Development Index, welcher das entwicklungspolitische Engagement der 22 reichsten Nationen in sieben Politikfeldern untersucht. Auf diesem renommierten Index belegt die Schweiz den wenig schmeichelhaften 18. Rang.

Problem erkannt, aber nicht angegangen

Die fehlende entwicklungspolitische Kohärenz ist keineswegs ein neues Problem. Bereits in den 1990er Jahren betonten Bundesrat und Parlament die Notwendigkeit, die Schweizer Innen- und Aussenpolitik mit den entwicklungspolitischen Zielen abzustimmen. Bisher wurde allerdings wenig unternommen, um das Problem der mangelnden Kohärenz systematisch anzugehen. So kritisierte die OECD 2009 erneut, dass das Konzept der entwicklungspolitischen Kohärenz innerhalb der Bundesverwaltung zu wenig verstanden werde und eine Instanz fehle, welche politische Vorhaben auf ihre entwicklungspolitischen Konsequenzen überprüfe und Zielkonflikte regeln könne.

Von der neuen Botschaft über die internationale Zusammenarbeit (IZA) 2013-2016 wurde deshalb erwartet, dass sie konkrete Wege zu mehr Kohärenz aufzeige. Die Botschaft geht jedoch nur sehr oberflächlich auf diese Frage ein. Sie verweist erneut auf das Interdepartementale Komitee für internationale Entwicklung und Zusammenarbeit (IKEZ), welches mögliche Ziel- und Interessenkonflikte zwischen IZA und den departementalen Sektorpolitiken identifizieren und „einer Lösung näher bringen“ soll. Die IKEZ wird jedoch weder substanziell gestärkt, noch wird eine Rechenschaftspflicht der Sektorpolitiken bezüglich ihrer entwicklungspolitischen Auswirkungen eingeführt. Die Durchsetzung der entwicklungspolitischen Kohärenz bleibt folglich weiterhin zahnlos.

Problem angehen: institutionelle Stärkung der Überprüfung

Die Schweiz benötigt daher eine starke Institution, welche die entwicklungspolitischen Folgen neuer Gesetze und Verordnungen überprüft. Dies hat den Vorteil, dass die entwicklungspolitische Dimension gezwungenermassen in die politische Debatte einfliesst. Bis anhin war dies nur ungenügend der Fall (bspw. in der Debatte zum Bankgeheimnis), obwohl die Problematik längst bekannt ist und diverse Nichtregierungsorganisationen vehement darauf hinweisen.

Für mehr entwicklungspolitische Kohärenz muss einerseits die IKEZ institutionell gestärkt werden. Andererseits braucht es einen neuen Mechanismus in der Art einer Entwicklungsverträglichkeitsprüfung, was bereits verschiedentlich gefordert wurde. Schweden, Holland und Norwegen kennen bereits eine solche Prüfung oder einen ähnlichen Mechanismus.

Der Fokus der DEZA- und SECO-Jahreskonferenz auf aid effectiveness soll uns nicht von der übergeordneten Frage der development effectiveness der Schweizer Politik ablenken. An der diesjährigen Jahreskonferenz muss daher auch diskutiert werden, wie wir departementsübergreifend eine kohärente Entwicklungspolitik erreichen können.

Maria Barbara Stoll ist Mitglied der AG Entwicklung und Zusammenarbeit und hat Development Studies am Genfer Hochschulinstitut für Internationale Studien und Entwicklung (IHEID) studiert.

Andreas Weber ist Mitglied der AG Entwicklung und Zusammenarbeit und hat an der Universität Zürich Ethnologie, Volkswirtschaft und Politologie studiert.

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