Das Ende der kalten Frieden: Die Neuverteilung der Macht im Nahen Osten und die Chancen für eine Lösung des israelisch-arabischen Konflikts

Entwicklungspolitik

Von David Chaim Weiss Für die israelisch-arabischen Beziehung birgt die Neuverteilung der Macht in Ägypten, Tunesien oder im Jemen Konfliktpotential. In der längeren Frist kann sie jedoch auch den Grundstein legen für echte Friedensbemühungen im israelisch-arabischen Konflikt.

Während die westliche Welt die spektakulären Umwälzungen in Ägypten überwiegend positiv beurteilt und die Demokratiebewegungen als Anlass zur Hoffnung nimmt, fällt ein Land durch seine kühle Reaktionen auf: Israel.

Israelische Existenzängste

Die Reaktionen aus Israel offenbaren eine grosse Angst vor Veränderung.

Wie immer dominiert ein einziger Faktor die Überlegungen des israelischen Establishments, nämlich die Auswirkungen auf die nationale Sicherheit Israels. Dieses Primat der nationalen Sicherheit ist aufgrund der konfliktreichen Geschichte Israels durchaus verständlich und in der Tat ist zu erwarten, dass der Abgang Mubaraks mit einer Beeinträchtigung der ägyptisch-israelischen Beziehungen einhergeht – zumindest kurzfristig.

Die Kündigung des israelisch-ägyptischen Friedensabkommens von 1979 ist unwahrscheinlich, aber Israel muss sich auf schwierigere Zeiten einstellen. Eine neuformierte politische Führung Ägyptens könnte die weitreichende Kooperation im Sicherheitsbereich entlang der israelisch-ägyptischen Grenze durchaus zur Diskussion stellen. Ein Ende der Blockade des Gazastreifens oder die Versorgung der Hamas mit Waffen grösserer Reichweite sind glaubwürdige Szenarien. Warum aber läuft eine Demokratisierung in Ägypten den kurzfristigen israelischen Sicherheitsinteressen entgegen, wenn doch aufgrund der These vom demokratischen Frieden allgemein davon ausgegangen wird, dass demokratische Staaten sich grundsätzlich weniger aggressiv verhalten?

Unheiligen Allianzen sind ein Auslaufmodell

Mit Mubarak hatte Israel einen Verbündeten, der in seiner Kooperation mit dem jüdischen Staat weiter ging, als der ägyptischen Bevölkerung lieb war. So kooperiert Ägypten schon seit Jahren bei der Blockade des Gaza-Streifens, indem es seine Grenze zum Gaza-Streifen geschlossen hält. Die langjährige Zusammenarbeit rührt nicht von der Liebe Mubaraks zum jüdischen Staat, sondern von der gemeinsamen Bedrohung durch islamistische Organisationen: Der Staat Israel wird durch die Hamas bedroht, das Regime Mubarak von den Muslimbrüdern. Die finanzielle Unterstützung durch die USA mag dem Kooperationswillen Mubaraks zusätzlich noch etwas nachgeholfen haben.

Diese unheilige Allianz zwischen israelischen Sicherheitsinteressen und der Unterdrückung populärer Bewegungen zum Zwecke der Machterhaltung arabischer Autokraten ist leider kein israelisch-ägyptischer Sonderfall (man denke zum Beispiel auch an die Beziehungen Israels mit Jordanien). Doch möglicherweise bedeutet die Überwindung autoritärer Herrschaft in der arabischen Welt durch die Demokratiebewegungen auch gleichzeitig ein Ende der Ära der unheiligen Allianzen zwischen dem jüdischen Staat und arabischen Autokraten.

Druck auf Israel steigt

Ein Ende des Politisierens über die Köpfe der ägyptischen Bevölkerung hinweg wird einher gehen mit einer konsequenteren Umsetzung pro-palästinensischer Aussenpolitik. Antizionistische Rhetorik zeichnet nicht nur die ägyptischen Massenmedien aus, sondern ist auch ein Bestandteil der politischen Plattform pro-demokratischer Oppositionsbewegungen und der Muslimbruderschaft.

Hinzu kommen der Machtgewinn der Hisbollah im Libanon, die Beschädigung der Allianz mit der Türkei und die Protestbewegungen in Syrien und Jordanien. Israel befindet sich in einer Situation der zunehmenden regionalen Isolation. Der steigende Druck auf Israel kann in Anbetracht der Asymmetrie des israelischen-palästinensischen Konfliktes als Korrektiv angesehen werden.

Hoffen auf einen Strategiewechsel

Für Israel ist das eine neue strategische Situation. Der Preis für die Fortsetzung seiner unilateralen Politiken gegenüber den Palästinensern wird steigen. Und eine Kooperation in Sicherheitsfragen wird ohne Konzessionen an die arabischen Nachbarn unwahrscheinlicher werden. Natürlich steht es Israel frei, diesen Preis zu bezahlen und den Weg des Unilateralismus angesichts der zunehmenden Isolation noch zu verschärfen.

Konzessionen an die Palästinenser nötig

Doch die Umstürze in der arabischen Welt sind auch eine Chance auf einen Strategiewechsel, hin zu einer echten Zusammenarbeit zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn. Für Israel war die Möglichkeit der unheiligen Allianzen mit den arabischen Autokraten praktisch. Wie sich jedoch erwiesen hat, sind Kooperationen, die auf einem oberflächlichen, ‚kalten’ Frieden basieren – welcher vom Grossteil der arabischen Bevölkerung nicht mitgetragen wurde – alles andere als nachhaltig. Ein stabiler und warmer Frieden wird ohne Gesprächsbereitschaft und ohne Konzessionen an die Palästinenser nicht zu erreichen sein.

Die Schweiz kann helfen

Bei einer echten Annäherung in der längeren Frist kann die Schweizer Nahostpolitik durchaus eine Rolle spielen. Diese zeichnet sich aus durch langfristig orientierte Vermittlungsbemühungen. Grosse Erfolge sind bisher noch ausgeblieben. Doch die neue strategische Situation verleiht dem Schweizer Ansatz des Dialogs und der Einbindung aller Kräfte – auch denjenigen welche im Westen nicht von vornherein auf Sympathie stossen (zum Beispiel die Hamas) – neue Glaubwürdigkeit.

David Chaim Weiss hat an der Universität Zürich und an der Hebrew University of Jerusalem Politikwissenschaft studiert. Er ist Gründungsmitglied von foraus – Forum Aussenpolitik und leitet die foraus-Arbeitsgruppe Entwicklung und Zusammenarbeit.

Der foraus-Blog ist ein Forum, das sowohl den foraus-Mitgliedern als auch Gastautoren/innen zur Verfügung gestellt wird. Die hier veröffentlichten Beiträge sind persönliche Stellungsnahmen der Autoren/innen. Sie entsprechen nicht zwingend der Meinung der Redaktion oder des Vereins foraus.