China ante portas: Freihandel mit chinesischen Besonderheiten

Völkerrecht

Von David Suter China will über den Handel seine Sicht auf die Welt durchsetzen. Sein überraschend abgeschlossenes Freihandelsabkommen (FHA) mit Island bietet dazu ein Beispiel und gleichzeitig die Gelegenheit, über die Schweizer Verhandlungen mit China nachzudenken.

Lauter werdende Stimmen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft fordern, dass Menschenrechte und Handel nicht als Gegensätze verstanden, sondern ineinander integriert werden: Handel solle so geschehen, dass er die Menschenrechte nicht verletzt, im besten Fall sogar fördert.

Menschenrechte kein Thema im FHA

Trotzdem wurde bisher nicht diskutiert, inwiefern das FHA Island-China auf handelsbezogene Menschenrechte Bezug nimmt. Das Ergebnis ist mager: Das Abkommen bestimmt in Art. 96 nur, dass die Parteien «die Kommunikation und Kooperation in Arbeitsfragen fördern» sollen. Artikel 101 nimmt diese Bestimmung aber sogleich vom Streitbeilegungsmechanismus aus. Dieser ist, wie bei FHA allgemein üblich, ohnehin relativ zahnlos.

Menschenrechte ausgelagert, umgedeutet und neutralisiert

Die Idee war offenbar, menschenrechtliche Fragen in der begleitenden Gemeinsamen Erklärung anzusprechen. Aber dieser Schuss ging für Island nach hinten los. China hat in Art. 5 seine relativistische Sicht auf Menschenrechte durchgesetzt, wonach «die politischen, wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und kulturellen Umstände» der Länder berücksichtigt werden sollen, was übersetzt so viel heisst wie «die Länder wenden die Menschenrechte nur an, wenn’s ihnen passt». Auch die durch ein Memorandum abgestützte Zusammenarbeit mit der ‘All China Women’s Federation (ACWF)’ hat bei näherem Hinschauen wenig Substanz. Über das Memorandum vom Mai 2012 ist nur bekannt, dass es «den Erfahrungsaustausch und das Lernen zum Wohle beider Gemeinschaften» betone. Damit ist alles gemeint, nur nicht der Export westlicher Werte nach China. Zudem ist die ACWF nicht etwa eine staatliche, sondern eine zivilgesellschaftliche Organisation unter der Führung der Partei (Baidu). Auf der ACWF-Seite wird das Memorandum übrigens nirgends erwähnt.

Ein FHA mit China bringt keine Rechtssicherheit

Die chinesische Regierung ist weniger als Staat denn als Ausführungsorgan der Kommunistischen Partei zu verstehen. Diese steht nicht nur über dem Recht, sondern auch über der Wirtschaft, die sie im Bedarfsfall für politische Zwecke instrumentalisiert. Dass die ACWF der isländischen Regierung als gleichrangiger Partner verkauft worden ist, macht nochmals deutlich, dass es in China eine klare Trennung zwischen öffentlich und privat, zwischen Staat und Wirtschaft, nicht gibt. Dieses Verständnis projiziert China auch nach aussen. So verrottete etwa nach der Nobelpreisvergabe an den chinesischen Dissidenten Liu Xiaobo norwegischer Lachs in chinesischen Lagerhäusern. Für den Hinweis, das Nobelpreiskomitee sei keine staatliche Institution, hatte Peking kein Gehör. Die ehemals hoffnungsvollen FHA-Verhandlungen zwischen Norwegen und China, sowie darüber hinaus alle hochrangigen Regierungskontakte, liegen seither brach. Auch der britische Premier David Cameron liess sich von chinesischen Drohgebärden derart einschüchtern, dass er seinen Ministern etwas so harmloses wie ein Essen mit dem Dalai Lama untersagte. Die chinesische Global Times erwähnte in diesem Zusammenhang, China sei jetzt stark genug, die ökonomischen Folgen solcher Strafaktionen zu tragen.

Die Schweiz ist keine Ausnahme: Nach einem veritablen Eklat bei einem Staatsbesuch Jiang Zemins in der Schweiz hatten unsere Behörden ‘gelernt’ und beim nächsten Staatsbesuch von Wen Jiabao 2007 in der Pressekonferenz Fragen der Journalisten erst gar nicht zugelassen.

China hat eine normative Agenda

Diese Episoden machen deutlich, dass es China nicht nur um Handel geht, wie oftmals behautet wird. China versteht sich als kommende Grossmacht, die ihre internationalen Beziehungen auf das Wesentliche reduziert, dabei insbesondere Menschenrechtsfragen ausklammert, und damit eine für viele Staaten valable Alternative anbietet zur westlichen, als interventionistisch und USA-dominiert empfundenen Ordnung. China nennt dies die ‘Neue internationale wirtschaftlich-politische Ordnung‘. Für China ist es ein riesiger Prestigegewinn, wenn sich liberal-demokratische Staaten Europas zu diesem Programm bekennen – und sei es nur in einer gemeinsamen Erklärung ohne rechtliche Bindungskraft. Mit der Schweiz könnte sich China eine stattlichere Trophäe an die Wand nageln als das wirtschaftlich gebeutelte Island.

Optionen für die Schweiz

China setzt also seine wirtschaftliche Macht dazu ein, normative Vorstellungen durchzusetzen. Die Schweiz hat vor diesem Hintergrund zwei Optionen:

  • Die realistische Option: Sie war bis anhin diskussionslos die Hauptgrundlage der Schweizer China-Politik. Die Menschenrechte, mithin Grundwerte unserer Gesellschaft, bleiben draussen, während wir um jeden Preis auf die Werte Chinas Rücksicht nehmen müssen. Diese China-ärgere-dich-nicht-Politik führt unweigerlich zu gewöhnungsbedürftigen Einschränkungen unserer bürgerlichen Freiheiten.
  • Die idealistische Option: Die Schweiz vertritt und verteidigt ihre Grundwerte selbstbewusst, notfalls unter wirtschaftlichen Kosten. Sie könnte etwa darauf drängen, im FHA eine Klausel zum Schutz der demokratischen Traditionen der Schweiz zu verankern. Auch ein robuster Streitbeilegungsmechanismus ist unerlässlich, sollen die Schweiz und ihre Wirtschaft wirksam vor politischen Kapricen des unendlich stärkeren Handelspartners geschützt werden. Falls sie mit ihren Anliegen bilateral nicht durchdringt, könnte die Schweiz sogar die Verhandlungen aussetzen und versuchen, auf multilateralem Weg ans Ziel zu kommen.

China stellt uns vor die Frage: Sind wir bereit, unsere Grundwerte der Wirtschaft zu opfern? Oder umgekehrt: Wieviel Wirtschaft wollen wir opfern, um unsere Grundwerte zu schützen? Diese Frage wird über uns hereinbrechen, spätestens wenn das fertig ausgehandelte Abkommen zur Debatte steht. Seien wir intelligenter und starten schon früher. Zum Beispiel jetzt.

David Suter, lic. iur., dissertiert am Zürcher Institut für Völkerrecht zum Thema «China in the Shanghai Cooperation Organization – Tracing Chinese Concepts of International Law» und engagiert sich im foraus-Programm Völkerrecht und Menschenrechte.

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