Aussenpolitische Neuorientierung: Ägyptens Abwendung von Israel

Völkerrecht

Von Rashid Abed – Das Resultat der ägyptischen Parlamentswahlen stärkt die islamischen Kräfte, was in Israel und dem Westen die Nervosität steigert. Welche Auswirkungen auf die Beziehungen zu Israel wird die weitere Entwicklung der Revolution in Ägypten darauf haben?

1979 schlossen Israel und Ägypten einen Friedensvertrag. Während der darauf folgenden, drei Jahrzehnte dauernden Herrschaft Mubaraks, wurden antiisraelische Proteste rigoros unterbunden. Sowohl wirtschaftlich wie sicherheitspolitisch verstand sich Ägypten unter Mubarak als Teil der Pax Americana. Eine starke Berücksichtigung israelischer Interessen war ein Merkmal dieser strategischen Ausrichtung. Nach der ägyptischen Revolution von 2011 wurden in Ägypten vermehrt Forderungen nach einer Aufkündigung des Abkommens erhoben.

Ernste diplomatische Verstimmungen

Die ägyptisch-israelischen Beziehungen verändern sich gegenüber der Ära Mubarak tiefgreifend. Dies zeigte sich etwa am Fall der fünf getöteten ägyptischen Grenzsoldaten im August 2011. Die Übergangsregierung warf Israel vor, den Friedensvertrag gebrochen zu haben. Ungewöhnlich rasch erfolgte die Entschuldigung des israelischen Verteidigungsministers Ehud Barak. Als Antwort gab die ägyptische Führung bekannt, dass ihr diese Entschuldigung nicht ausreiche.

Auf den Strassen Kairos war die Stimmung ähnlich. Die wochenlangen Proteste schaukelten sich hoch und führten im September zu einem Angriff wütender Demonstranten auf die israelische Botschaft. Der Botschafter war gezwungen zu fliehen.

Seither versucht sein Nachfolger ein neues Domizil zu finden, das den gestiegenen Sicherheitsanforderungen genügt. Bisher ohne Erfolg. Unklar ist, ob das Unterfangen misslingt, weil die jeweiligen Eigentümer einer potentiellen Botschaft den Verkauf verweigern, oder ob politischer Druck der Übergangsregierung dahinter steckt.

Unerfüllte israelische Wünsche

Auch in wirtschaftlicher Hinsicht gibt es diverse Anzeichen für eine Verschlechterung der bilateralen Beziehungen. Das zeigt beispielsweise der Bau einer 32 Kilometer langen Brücke, welche künftig Saudi-Arabien und Ägypten miteinander verbinden soll. Die Idee für das Bauprojekt existiert seit über zwanzig Jahren. Doch Israel hatte stets sein Veto eingelegt, welches von Hosni Mubarak berücksichtigt wurde. Nach der Revolution ist das anders. Im Juli 2011 hat das ägyptische Verkehrsministerium das 5-Milliarden-Euro-Projekt genehmigt. Die Wünsche des nördlichen Nachbarn spielten keine Rolle mehr.

Ein anderes Beispiel ist der Lieferstopp von ägyptischem Erdgas an Israel. Der 2005 über die East Mediterranean Gas Company ausgehandelte Liefervertrag sah Erdgaslieferungen zu Preisen unter dem Weltmarktniveau vor. Die ägyptische Ministerin für internationale Zusammenarbeit lud Israel dazu ein, den Vertrag neu zu verhandeln. Die ägyptische Politik kommt damit einem unübersehbaren Druck der Strasse nach. Schliesslich haben seit Mubaraks Absetzung Unbekannte mehr als ein Dutzend Sabotageakte gegen die Erdgaspipeline auf dem Sinai verübt.

Was geschieht nach den Wahlen?

Viel hängt davon ab, wie Ägypten sich politisch neu ordnen wird. Die Parlamentswahlen haben die islamischen Kräfte in Ägypten klar gestärkt. Der politische Arm der Muslimbruderschaft kam auf 45.7 Prozent, die salafistische „Partei des Lichts“ auf 24.6 Prozent. Bei den ab dem 23. Mai angesetzten Präsidentschaftswahlen besteht die Möglichkeit, dass ebenfalls jemand aus dem islamischen Lager das Rennen machen wird. Doch wird der Militärrat, der seit Mubaraks Rücktritt die politische Kontrolle in Ägypten ausübt, seine Macht tatsächlich an die Muslimbrüder abtreten? Das ist im Moment ebenso unsicher wie die Frage, ob die Übergangsregierung die geplanten Präsidentschaftswahlen abhalten lassen wird.

Eines jedoch ist klar: Die Zeiten der Vorzugsbehandlung in der ägyptischen Politik sind für Israel zu Ende. Wer auch immer in Zukunft die ägyptische Politik lenkt, wird eine verstärkte Ausrichtung auf die übrige arabische Welt vorantreiben. Dem erwähnten Brückenschlag nach Saudi Arabien kommt dadurch auch eine grosse symbolische Bedeutung zu. Bisher mussten ägyptische Pilger auf ihrer Hadsch ins saudische Mekka das südliche Israel durchqueren, wenn sie nicht den Seeweg wählen wollten. Mit der neuen Brücke ist dies überholt.

Wie wird sich Ägypten nach dem arabischen Frühling positionieren? Wird das Land die Führungsrolle in der arabischen Welt zurückerobern, welche es in den Tagen Nassers inne hatte oder wird es sich den finanzstarken Saudis annähern? Oder ist vielleicht doch eine Erholung der Beziehungen zu den USA und Israel denkbar?

Rashid Abed (30), studiert zurzeit auf dem zweiten Bildungsweg Soziologie und Geschichte an der Universität Basel und ist Mitglied der foraus-Arbeitsgruppe Entwicklung und Zusammenarbeit.

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