Die Krux des Kruzifixes: Verfassungsrechtlicher Denkmalschutz für christliche Symbole?

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Von Rafael Häcki – Um die christliche Tradition zu bewahren, soll dem Kruzifix im öffentlichen Raum eine verfassungsrechtlich verankerte Sonderstellung zukommen. Solcher Denkmalschutz ist weder Staatsaufgabe noch notwendig.

Während sich ausländische Politiker/innen mit der Abwendung des Untergangs von Euroland, der Energiegewinnung nach Fukushima oder den Auswirkungen von nordafrikanischen Revolutionen respektive Beziehungen zu minderjährigen Prostituierten/ex-singenden ex-Models/Hausangestellten beschäftigen, widmen sich einheimische Volksvertreter/innen den wichtigen Dingen des Lebens. Man diskutiert über Gott und die Welt. Genauer: über Kirche und Staat.

Im Anfang war das Wort

„Einzelpersonen oder einzelne Gruppierungen sollten nicht mit Verweis auf die Glaubens- und Gewissenfreiheit die in der Schweiz vorherrschende christlich-abendländische Kultur infrage stellen können.“

Zu diesem Ergebnis kam die Staatspolitische Kommission des Nationalrates in der von Ida Glanzmann-Hunkeler und Pius Segmüller (beide CVP Luzern) angeregten Diskussion. Entsprechend sei zur Bewahrung der christlichen Tradition eine neue Verfassungsgrundlage notwendig, die Symbole der christlich-abendländischen Kultur im öffentlichen Raum privilegiert.

Christlich-abendländische Kultur?

Demzufolge existiert in der Schweiz offenbar die christlich-abendländische Kultur. Die einheitliche abendländische Kultur, der die christlichen Werte vorangestellt werden?

Leerformelgerede! Konrad Adenauer stützte die erste BRD-Regierung auf den „Geist christlich-abendländischer Kultur“; ebenso wurden aber auch schon das Bekenntnis zu „Gott und dem Führer“ oder Francos nationalkatholisches Gottesgnadentum begründet.
Was beinhaltet denn diese Kultur? Sicher das „geistig-religiöse und sittliche Erbe” Europas, das die Präambel zur EU-Grundrechts-Charta beschwört. Zumindest in der deutschen Version; in den übrigen Fassungen fehlt der Religionsbezug. Weil zu den gewichtigsten Errungenschaften des okzidentalen Europas die Aufklärung gehört: säkulare und rationale Begründbarkeit rechtlicher und moralischer Normen (Hobbes, Locke, Kant), Trennung von Politik und Religion. Warum also muss ein aufgeklärter Staat die christliche Kultur bewahren?

Hegemonie christlicher Kultur?

Zunächst wird die Schutzbedürftigkeit der christlich-abendländischen Kultur offenbar durch ihre Vorherrschaft begründet. Hegemonie der christlich geprägten Leitkultur anstelle von Religionsfreiheits-Gesülze und postmodernem Wertepluralismus-Wischiwaschi? In deskriptiver Hinsicht lassen alleine Menge und Alter der Teilnehmenden an Gottesdiensten bezweifeln, dass die christliche Tradition herrschender Zeitgeist ist.

In normativer Hinsicht ist strittig, ob eine christliche Leitkultur als integrativer Wertkonsens – als verfasste Hausordnung – dienen soll. Ich bevorzuge die entgegengesetzten Werte der kulturellen Moderne (Habermas) wie Vernunft, individuelle Menschenrechte und säkulare Demokratie.

Glauben ist Privatsache. Unser Staat ist weltanschaulich neutral. Staatskirchenrecht ist historisch gewachsen Kantonskompetenz (Art. 72 Abs. 1 BV). Der Bund anerkennt keine Kirche. Warum also muss die Schweizerische Eidgenossenschaft die christliche Tradition und ihre Symbole bewahren?

Das Kreuz als „Symbol des abendländischen Grundrechtsverständnisses“? Eine absurde Begründung, um ein Grundrecht (Anspruch auf weltanschauliche Neutralität des Staates, Art. 15 BV) einzuschränken. Grundrechte wurden zudem nicht von der Kirche gestiftet; sie mussten seit der Aufklärung gegen sie erkämpft werden.

Infragestellung christlicher Kultur?

Im Weiteren ist die christlich-abendländische Kultur offenbar schutzbedürftig, weil sie – als solches und in ihrer Gesamtheit – in Frage gestellt wird. Traditionsschutz aus Gründen der Erhaltung des kulturellen Erbes (Art. 69 Abs. 2 BV)? Die Existenzgefährdung geht aber nicht etwa vom böFei „politischer Islam“ aus; dieser wird ja durch das Minarettverbot im Zaum gehalten. Diesmal wird die christliche Kultur aus ihrem Innersten heraus bedroht: Triengen (LU). Dort forderte ein Deutscher die Entfernung der Kruzifixe aus dem Klassenzimmer seiner beiden Kinder.

Er machte unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts (ebenso: EGMR und Bundesverfassungsgericht) einen grundrechtlichen Anspruch geltend. Dessen ungeachtet und europaweite Debatten ignorierend startete die CVP umgehend ihren Kreuzzug zur Bewahrung der christlich-abendländischen Kultur. Darum also muss die Bundesverfassung das Kruzifix schützen?

Staatliche Bewahrung christlicher Kultur?

Nun soll also die christlich-abendländische Kultur – gestützt auf eine im Namen Gottes des Allmächtigen erlassene Verfassungsnorm – nicht mehr in Frage gestellt werden können. Auf die vorherrschende Kultur gestützte Grundrechtseinschränkungen sind aber so was von 1933. Im Weiteren bleibt abzuwarten, inwiefern sich die inzwischen geänderte Rechtsprechung des EGMR auf das Bundesgericht auswirkt.

Schliesslich scheint sich die christliche Kultur selbst ganz gut schützen zu können. Nach mehreren – christliche Nächstenliebe und Barmherzigkeit vermissen lassenden – Morddrohungen und auf polizeiliches Anraten hin flüchtete der „vereinzelte Fanatiker” aus Triengen samt Familie nach Deutschland. Die beiden zwischenzeitlich gegen schlichte Kreuze ausgetauschten Kruzifixe hängen wieder.

Das Kreuz als „Symbol des sozialen Gedankens der Bergpredigt“? Jesus prangert dort das Zürnen und Beleidigen anderer an und predigt für Vergebung sowie Liebe zu den Feinden.

Rafael Häcki ist Doktorand und Assistent im Bereich Staatsrecht, Rechtsphilosophie und Verfassungsgeschichte. Er ist Gast im foraus-Blog.

Der foraus-Blog ist ein Forum, das sowohl den foraus-Mitgliedern als auch Gastautoren/innen zur Verfügung gestellt wird. Die hier veröffentlichten Beiträge sind persönliche Stellungsnahmen der Autoren/innen. Sie entsprechen nicht zwingend der Meinung der Redaktion oder des Vereins foraus.