Scheuklappen und Symbolik: Wie die Schweiz mit dem Fremden umgeht

Migration

Von Dominik Elser – Schweizer Politik und Gesellschaft verschliessen sich vor äusseren Einflüssen und meinen, nur so sei Sicherheit und Wohlstand im Innern zu erreichen. Wohin diese Annahme führt, zeigen die Integrationsdebatte, die Verschärfung des Strafrechts und der US-Steuerstreit.

Der Schweiz geht Entspanntheit und Weitsicht ab, wenn es um Vertrautes und Fremdes geht. Allzu schnell wird mit dem Finger auf das Fremde gezeigt und gebrüllt: “Schau mal, wie anders die andern sind”. Ein erstes Anschauungsbeispiel ist die Integrationsdebatte.

Fehlender Integrationswille – auf Seite der Schweiz

Das Konzept Integration ist schon begrifflich schwierig: Es geht von einem Teil aus, der sich in ein Ganzes eingliedern soll. Was heisst nun eingliedern? Der Bund spricht von Teilhabe am “wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben der Gesellschaft”. Doch wie diese Gesellschaft auch immer gefasst wird – ständige Wohnbevölkerung, abgestammte Ureidgenossen, Stimmberechtigten oder erwerbstätige Bevölkerung – sie ist kein homogenes Ganzes mit einheitlichen Eigenschaften, die man dem Teil vorgeben könnte.

Einwanderungsgegner argumentieren gerne mit Schweizer Werten. Die grundlegendsten Werte finden wir am ehesten in der Verfassung. Sie beginnt, ja, mit einer Anrufung Gottes. Gleich danach kommt die Verantwortung gegenüber der Schöpfung, Freiheit und Demokratie, Unabhängigkeit und Frieden in Solidarität und Offenheit gegenüber der Welt, gegenseitige Rücksichtnahme und Achtung der Vielfalt in der Einheit, gemeinsame Errungenschaften, Verantwortung gegenüber künftigen Generationen, und die Bindung der Stärke des Volkes an das Wohl der Schwachen. Trotz Gottesanrufung ist von christlichen Werten keine Rede. Und dass ein Schweizer Schweizerdeutsch sprechen, gut jassen und Wilhelm Tell verehren soll, steht dort auch nicht.

Von Migranten zu erwarten, sie müssen in irgendeiner Weise schweizerisch sein, kommt einer Lebensformkontrolle gleich. Dass die anderen nur hier leben und arbeiten wollen, geht schnell verloren, wenn man nur darauf schaut, wie sehr anders sie sind.

“Härter bestrafen” klingt gut – weil wir nicht die anderen sind

Der verkrampfe Umgang mit Fremden führte zuletzt auch im Strafrecht zu politischen Überreaktionen. Das Parlament verschärft die erst 2007 reformierten Sanktionen, um ein Zeichen gegen Kuscheljustiz zu setzen und das “Vertrauen ins Strafrecht wieder herzustellen”.

Hart durchgreifen ist einfach: Man hat ein Bild von den bösen Buben, die kriminell sind – und die sind so ganz anders als wir Anständigen. Also können wir die Bösen doch einsperren, den Schlüssel wegwerfen, und wenn die Strafe abgesessen ist, verwahren wir sie gleich noch, damit wir die anderen dauerhaft von uns fernhalten.

In einem Rechtsstaat geht diese Ansicht fehl. Es braucht hier nicht mal ein philosophisches Menschenbild, das Recht gibt die Antwort: Straftäter haben gegen Rechtsnormen verstossen. Sie sind nicht andersgeartete Menschen, die bestimmte Merkmale aufweisen. Das Strafrecht hat mit Taten zu tun und es muss das Umfeld angehen, in dem sie geschehen. Täter(gruppen) auszugrenzen, ist kein Weg zu mehr Sicherheit.

Internationaler Druck – von Monstern und Verhandlungen

Die Abgrenzung im Innern – anständige Schweizer Gesellschaft versus das Fremde – führt zu einer aussenpolitischen Abwehrhaltung. Dies zeigte sich unlängst wieder im US-Steuerstreit. Das US-amerikanische Steuereintreibungsgesetz FATCA als “US-Monstergesetz” zu bezeichnen, bringt wenig. Die Schweiz reagiert auf internationale Forderungen hysterisch und polternd. Diese Reaktion fusst auf einem Minderwertigkeitskomplex (Warum sind wir nur so klein und die anderen trampeln auf uns rum?) und in der Unfähigkeit, eigene Interessen klar zu formulieren und dafür einzustehen.

Länder haben Interessen, die sie durchsetzen, so gut sie können. Grössere Länder haben grössere Durchsetzungskraft, soviel sollte einleuchten. Der Steuerstreit ist ein prima Beispiel dafür: Wir sind an einem starken Schweizer Finanzplatz interessiert, weil er wichtig für unsere Volkswirtschaft ist. Festklammern am Bankgeschäft von früher, Querstellen bei Amtshilfe oder Pochen auf unser Recht sind keine Interessen – es sind Haltungen und Ablenkungen. Im internationalen Wirtschafts- und Politikbetrieb ist alles Verhandlungssache, darauf muss man sich einstellen. Jede Seite will ihre Interessen durchsetzen, das ist kein Affront.

Ob im Umgang mit anderen Staaten, mit Ausländern oder mit Rechtsbrechern –Ausgrenzung bringt niemanden weiter. Die verschiedenen Interessen kollidieren weniger, wenn auf tatsächliche Entwicklungen offen und vorurteilslos eingegangen wird.

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