Nieder mit der Revolution! Es lebe der Diktator!

Diplomacy & international actors

Von David SuterDie Shanghai Cooperation Organisation (SCO) stützt autoritäre Regimes und etabliert menschenrechtwidrige Strukturen in Zentralasien. Unter der Führung Chinas wird ein Modell der wirtschaftlichen Entwicklung ohne gleichzeitige politische Öffnung propagiert. Die Schweiz muss ihr Engagement in der Region überdenken.

Gentlemen’s Club der Autokraten

Am vergangenen 16. Juni versammelten sich in Astana, Kasachstan, die Oberhäupter der sechs Mitglieder der SCO, als da sind China, Russland, und die zentralasiatischen Staaten Usbekistan, Tadschikistan, Kirgisistan und Kasachstan. Bis heute ist dieses Staatenbündnis, dessen Länder einen durchschnittlichen Demokratieindex von 3.21 Punkten (Norwegen 9.80, Nordkorea 1.08) und einen noch lamentableren Korruptionsindex von 2.4 Punkten (Dänemark 9.3, Somalia 1.1) auf sich vereinigen, auf überraschend wenig Echo gestossen. Und doch beging die SCO an besagtem Datum bereits ihr zehnjähriges Jubiläum.

Aus der Taufe gehoben wurde diese Organisation bezeichnenderweise nicht mit ihrer Charta (diese wurde erst ein Jahr später verabschiedet), sondern mit der Unterzeichnung der “Shanghaier Konvention zur Bekämpfung von Terrorismus, Separatismus und Extremismus”.

Gemeinsam gegen die Freiheit

Wie die Organisation “Human Rights in China (HRIC)” in einer umfangreichen Studie schreibt, hat die SCO parallel zu den Anti-Terror-Bemühungen der UNO ihr eigenes Konzept der Terrorismusbekämpfung entwickelt, das den Begriff Terrorismus um “Extremismus” und “Separatismus” erweitert. Das implizierte Ziel ist, neben der realen Terrorismusgefahr in der Region zugleich auch jegliche separatistische Aktivität (die im gewaltlosen Widerstand oder auch nur blossen Gebrauch der Meinungsäusserungsfreiheit liegen kann) zu unterbinden. Auslieferungsklauseln verhindern, dass sich Verfolgte ins ethnisch verwandte Ausland absetzen können. Unterstützt durch eine “Regionale Anti-Terrorismus-Struktur (RATS)” zieht sich die Schlinge um regimekritische Gruppierungen immer enger: Echte und vermeintliche Terroristen werden in einer internationalen Datenbank erfasst, gesammelte Beweise werden gegenseitig ungeprüft anerkannt, Personen schon aufgrund einer nicht näher zu begründenden Anschuldigung ausgeliefert, und Häscher dürfen ihren Opfern ins Ausland nacheilen. Mit einer neuen Anti-Terrorismus-Konvention von 2009 sind die SCO-Staaten zudem gehalten, die Erteilung des Flüchtlingsstatus an verdächtige Personen aktiv zu hintertreiben. Die Nonchalance, mit der hier die UNO-Flüchtlingskonvention mit Füssen getreten wird, erschüttert. Bezeichnenderweise ist der Vertragstext nicht auf der offiziellen SCO-Seite zugänglich. Erst anlässlich der Ratifikation durch die russische Duma erblickte diese Konvention des Schreckens das Licht der Öffentlichkeit.

… und es funktioniert

Wie The National Interest schreibt, wurden kürzlich Uiguren in Kasachstan und Kirgisistan an der Ausreise gehindert, die sie zu einer Uiguren-Konferenz in Washington führen sollte. Dies mit der Begründung, man wolle China nicht verärgern. Weiter hat Kasachstan 29 Uiguren an verschiedene SCO-Staaten ausgeliefert, ein Blutopfer zum Auftakt der Jubiläumsfeierlichkeiten. HRIC hat zahlreiche weitere Rückführungen dokumentiert.

Derweil verkauft sich die SCO als nicht zu umgehender Player für Sicherheitsfragen und wirtschaftlichen Zugang in Zentralasien und weibelt offen um internationale Anerkennung. Ein wichtiger Schritt in dieser Hinsicht war die Verleihung des Beobachterstatus in der UNO durch die Generalversammlung Ende 2004. Vier Jahre später wurde eine Resolution zur Zusammenarbeit der SCO mit der UNO verabschiedet, unter anderem im Bereich Terrorismusbekämpfung. Im letzten Jahr  wurde diese bekräftigt, und für 2012 ist eine weitere solche Resolution geplant. Die kritischen Rufe Martin Scheinins, Sonderberichterstatter für die Einhaltung der Menschenrechte in der Terrorismusbekämpfung, verhallen ungehört in den Hallen der UNO.

Was kann die Schweiz tun?

Über bilaterale Entwicklungshilfe hat die Schweiz in den letzten neun Jahren insgesamt 394 Mio Schweizer Franken an SCO-Staaten geleistet (Quelle: DEZA). Zudem unterhält die Schweiz in Zentralasien eine privilegierte Partnerschaft mit Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan, die sie sich alleine 2010 knapp 45 Mio. Schweizer Franken hat kosten lassen (Quelle: DEZA). Durch den Vormarsch der SCO in der Region wird das moral hazard-Problem von Entwicklungshilfe an autoritäre Staaten akzentuiert: Die Schweiz will den wirtschaftlichen Aufbau unterstützen und bedient damit die Agenda der SCO, die gleichzeitig dafür sorgt, dass politisch alles beim Alten bleibt. Es ist dies eine historisch neue Situation, in der internationale Standards zum Schutz der Menschenrechte nicht einfach missachtet, sondern direkt auf der normativen Ebene angegriffen und untergraben werden.

Rechtsstaatlichkeit und Demokratie sind bereits jetzt wichtige Themen der bilateralen Zusammenarbeit. In diesem Rahmen muss die Schweiz ihre Mittel bündeln und die Empfängerstaaten auf den Widerspruch zwischen SCO-Regeln und internationalen humanitären Standards hinweisen. Gleichzeitig muss die offizielle Schweiz die unheilige Allianz des Schweigens durchbrechen und auf internationaler Ebene wieder und wieder ihre Stimme erheben. Das Beispiel der SCO darf nicht Schule machen.

David Suter lic. iur., verfasst eine Dissertation zum Thema “China in the Shanghai Cooperation Organization – A Chinese Way of International Law?” an der Universität Zürich. 2009–2010 verbrachte er einen Forschungsaufenthalt an der Tsinghua-Universität in Peking. Er ist Mitglied der foraus-Arbeitsgruppe Völkerrecht

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