Was passiert, wenn man dem russischen Bären ins Gehege kommt

Paix et sécurité

Die Entscheidung der Schweiz, keine wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland zu verhängen ist richtig. Es schärft das aussenpolitische, unabhängige Profil der Schweiz, stärkt die Verhandlungsposition von Didier Burkhalter als OSZE Präsident und wirkt einer weiteren Eskalation entgegen.

 

Jeder Aktion folgt eine Reaktion. Das sollte eigentlich nicht überraschen – schon gar nicht wenn man es mit Russland zu tun hat. Oder hat man die Ereignisse 2008 im Kaukasus schon etwa wieder vergessen? Die Georgier sicher nicht. Russlands Vladimir Putin formulierte es deutlich und sprach von einer Übertretung von Grenzen. Die Ukraine und seine Bevölkerung – nicht nur die russisch-sprachige – ist nach Russlands Verständnis Teil seiner kulturellen Identität. Von hier ging die Christianisierung der Russen aus, auf die sich Putin in seiner Rede vom 18. März explizit bezieht. Man sollte seinen Worten daher ein gewisses Gehör schenken. Die Empörung an dem russischen Vorgehen mag zwar aus mancherlei,vor allem rechtlichen, Aspekten gerechtfertigt sein. Sie ist aber übertrieben. Bei der Annexion der Krim ist nicht ein einziger Schuss gefallen. Ohne eine breite Unterstützung der hiesigen Bevölkerung wäre das kaum möglich gewesen. Es lässt sich daher auch schlecht mit völkerrechtlichen Argumenten gegen das russische Vorgehen argumentieren – russische Agitation vor Ort hin oder her.

Russlands Tatzen

Möglicherweise ist es aber gerade das effiziente und zügige Vorgehen, welches so irritiert. Es will einfach nicht so recht zum Image des trägen Riesen im Osten passen, welches sich nach dem Niedergang des Sowjetreiches und einem Jahrzehnt voller Turbulenzen ausgebildet hat: Russland konnte unter Jelzin das Eingreifen der NATO im Kosovokonflikt nicht verhindern und auch jüngst im Libyenkonflikt hatte man nur eine Statistenrolle. Aber: Zu glauben, der Kremlherr sähe zu wie mehrheitlich russisch-bewohntes Gebiet mit besonderer historischer und geradezu essentieller, strategischer Bedeutung für Moskau seinem direkten Einfluss entzogen wird, wäre naiv gewesen. Putin war gut vorbereitet. Und hatte sich sogar die Mühe gemacht, durch ein Referendum auch für die offizielle, demokratische Legitimation zu sorgen. So dürfte das zumindest der Kreml sehen.

Der Russische Bär seigt seine Tatzen inner- und ausserhalb seines Geheges. 

Russlands Tatzen sind zwar kleiner geworden, aber wenn man dem russischen Bären ins Gehege kommt, dann setzt er sie ein. Denn wie ein Gehege dürfte es zumindest aus geostrategischer Sicht erscheinen: hat sich Russlands diplomatischer und militärischer Spielraum in Europa nicht zuletzt durch Ausweitung der NATO bis ins Baltikum doch deutlich verkleinert. Die Sorge, dass der russische Bär nun versuchen könnte aus diesem Gehege auszubrechen um selbst neue Reviergrenzen abzustecken, geht im Moment in den ehemaligen Sowjetrepubliken um. Aber ist diese Sorge nicht hausgemacht? Schliesslich hat erst das ungeschickte Agieren der neuen ukrainischen Regierung dazu geführt, dass ein bis dato auf politisch-wirtschaftllicher Ebene ausgetragener Konflikt eine militärsch-räumliche Dimension erhalten hat. Wahr ist, dass jede weitere politische Destabilisierung der Ukraine zu einer gesellschaftlichen Polarisierung führt, was letztlich Russland in die Hände spielt. Hier muss der Westen ansetzen und einer weiteren Eskalation der Lage entgegentreten.

Doch wer ist hier der Westen?

Die G8? Beziehungsweise neuerdings die G7? Die USA, die Nato – oder gar die EU? Und wo steht hier die neutrale Schweiz? Sanktionsrufe hier und dort – doch die Schweiz verzichtet zu Recht auf solche Massnahmen. Nicht nur auf Grund ihrer Sonderrolle mit der diesjährigen OSZE-Präsidentschaft, sondern weil es kontraproduktiv ist und keinen Sinn macht. Wie kann die Schweiz Russland bei Sachverhalten wie der Beschneidung der Rechte von Homosexuellen, der Drangsalierung politischer Opponenten oder seiner Haltung im Syrienkonflikt mit diplomatischen Samthandschuhen anfassen und jetzt – wo es aus russischer Sicht um Kerninteressen geht – hingegen ernsthaft wirtschaftliche Sanktionen in Betracht ziehen?

Die deutsche Kanzlerin hat bisher mit der europäischen Stimme der Vernunft gesprochen und besonnen agiert. Aus deutscher Sicht macht es allerdings Sinn nun kurz die Muskeln zu zeigen. Zum einen hat Deutschland das notwendige wirtschaftliche Gewicht um von Russland ernstgenommen zu werden: Allein die öffentliche Ankündigung der Deutschen Kanzlerin wirtschaftliche Sanktionsmassnahmen zu ergreifen hat an den Börsen weltweit Wirkung gezeigt. Zum anderen stellt damit Deutschland auch klar, welche Konsequenzen es haben wird, sollte Russland weitere Ambitionen auf Gebietserweiterungen im Osten der Ukraine oder gar anderen ehemaligen Sowjetrepubliken hegen. Zwar sollte man sich davor hüten Russland generell solche Absichten zu unterstellen. Es ist jedoch nicht ganz auszuschliessen – zumal die neuen Köpfe in Kiew sich nicht besonders geschickt anstellen. Der Kreml nutzt dies medial geschickt aus: Auf Youtube veröffentlichte Telefonmitschnitte, mal von der amerikanischen Sondergesandten mal von der ehem. Ministerpräsidentin Timoschenko, oder Handyvideos von ausser Rand und Band geratenen ukrainischen Politikern zeugen davon, dass Russland unter Putins Führung nicht nur technologisch in Sachen Überwachung aufgeschlossen hat, sondern dies auch öffentlichkeitswirksam für seine Zwecke zu nutzen weiss: Seine Beliebtheitswerte im Inland sind nach Sotchi und der Annexion der Krim auf einem nie dagewesenen Hoch.

Die Stunde der OSZE

Nun stellt sich die Frage wie es weitergehen soll. Vor allem der ukrainischen Führung sei geraten, mit Bedacht zu reagieren. Julia Timoschenko hat begriffen, wie brandgefährlich der veröffentlichte Mitschnitt eines Telefonats zwischen ihr und einem Vertrauten war und dementierte sofort. Denn auch wenn die darin getätigten Äusserungen manipuliert sind, könnte eine solche Aussage den Funken zünden und zu Unruhen in den mehrheitlich russischfreundlichen Gebieten im Osten der Ukraine führen. Sollte das passieren, wird es sehr viel schwieriger, diese bis dato gewaltfreie Konfrontation zwischen der neuen ukrainischen Führung und Russland zu beenden. Die Beteiligung nationalistischer Kräfte an der neuen Regierung ist zwar legitim. Es waren ihre gut organisierten Anhänger, die Janukowitschs Ordnungsmacht auf dem Maidan die Stirn geboten und ihn letztlich davongejagt haben. Auf der Strasse hat es ihrer Schlagkraft bedurft. Nun ist es aber an der Zeit, die Fäuste ruhen zu lassen. Politische Lösungen sind gefragt und die kann weder Russland noch der Westen, sondern nur die Ukraine selbst herbeiführen. Durch besonnenes Handeln, Einbezug aller politischen Gruppierungen und grösstmögliche Rücksicht auf die russisch-sprachige Bevölkerung. Es könnte sich als die Stunde der OSZE unter Schweizer Federführung erweisen. Zum einen bietet die OSZE Russland die Möglichkeit dem Westen auf Augenhöhe zu begegnen, gleiches gilt aber auch für die Ukraine gegenüber Russland. Zum anderen verfügt dieses nicht-militärische und auf Einstimmigkeit basierende Gremium über die notwendige Legitimität sowie die notwendigen, deeskalierenden Instrumente – wie zum Beispiel unabhängige Beobachter. Diese werden zwar oft als zahnloses Mittel gesehen, sind aber genau deswegen das probate Instrument um eine aufgeheizte Stimmung zu beruhigen.

Mas sollte sich aber auch nicht zu viel von der OSZE erwarten. Ihre diplomatischen wie auch finanziellen Mittel sind beschränkt und es liegt nicht in ihrer Kompetenz für bessere wirtschaftliche Verhältnisse frei von Korruption und Nepotismus zu sorgen. Diese sind aber letztlich der Schlüssel für eine friedliche Entwicklung und den Aufbau funktionierender, demokratischer Strukturen.