Was für Trump wie ein Spiel wirkt, ist für die Ärmsten bitterer Ernst

Politique de développement

Donald Trumps Drohungen, konzertierte Sanktionen und Kürzungen bei der Nahrungsmittelhilfe haben die Situation in Nordkorea verschärft – und Kim Jong-un an den Verhandlungstisch gebracht. Wird das «diplomatische Fenster» jetzt nicht genutzt, trifft es die Zivilbevölkerung besonders hart – einmal mehr. Patrik Berlinger

Seit Jahresbeginn macht der nordkoreanische Diktator diplomatische Avancen in erstaunlichem Tempo. Glaubt man den Ankündigungen nach dem Treffen zwischen Kim Jong-un und Südkoreas Präsidenten, soll der Kriegszustand endlich beendet werden und die «vollständige nukleare Abrüstung» Nordkoreas erfolgen. Beides wären wahrhaft historische Schritte.

Warum jetzt? Und warum so schnell?

In jüngerer Zeit haben Nahrungsmittelmangel und Energieknappheit ebenso wie ungenügende Fremdwährungsbestände und gesellschaftliche Veränderungen Kim Jong-un dazu bewogen, zaghafte Schritte in Richtung einer sanften Liberalisierung in die Wege zu leiten. Tatsächlich haben sich die Lebensbedingungen in Pjöngjang für eine dünne „Mittelschicht“ etwas verbessert. Doch wenn man die Hauptstadt hinter sich lässt, zeigt sich das wahre Gesicht – Armut und fehlende Perspektiven.

Nach wie vor ist der Staat repressiv und praktisch vollkommen abgeschottet von der Welt. Kaum einer kann sich frei im Land bewegen. Und Hunger, Folter, Zwangsarbeit und Sippenhaft bleiben traurige Realität für viele. Angaben zum Staatshaushalt sind derart ungenügend und unvollständig, dass Nordkorea nebst Somalia das einzige Land ist, für das der Human Development Index des UN-Entwicklungsprogramms UNDP nicht verfügbar ist: Index n.a., Rank n.a.

Nordkorea kann seine Bevölkerung mit der eigenen Agrarproduktion nicht ernähren. Dies, obwohl jeder Dritte in diesem Sektor arbeitet. Die Landwirtschaft ist geprägt von negativen Wachstumsraten und strukturellen Problemen: tiefe Mechanisierung, mangelhafte Bewässerung, Übernutzung der Böden. Der Nahrungsmittelmangel treibt viele Bauern dazu, steilste Hänge zu bewirtschaften. Dies führt zu Abholzung und Erosion und erhöht das Risiko von Naturkatastrophen – ein Teufelskreis.

Gemäss World Food Programme leidet 41% der Bevölkerung unter chronischer Ernährungsunsicherheit; eine Zunahme um 80% gegenüber 1990. Kinder, schwangere und stillende Frauen sowie die ältere Bevölkerung sind besonders von Unterernährung betroffen. Rund jedes vierte Kind unter 5 Jahren leidet unter Wachstumsstörungen.

Gemäss des Indexes ökonomischer Freiheit 2018 schneidet die nordkoreanische Wirtschaft nicht nur unter den 43 Ländern der Asien-Pazifik-Region, sondern insgesamt am schlechtesten ab: Nordkorea belegt den 180. und somit letzten Platz aller bewerteten Länder – hinter Venezuela, Eritrea und Simbabwe.

Angesichts der Problemlage wären Reformen in der Wirtschaft und im Agrarsektor wichtig. Auch Auslandsinvestitionen und Entwicklungszusammenarbeit könnten in Zukunft Schlüsselfaktoren für eine Verbesserung der Wirtschaftslage, der Ernährungssituation sowie des allgemeinen Lebensstandards sein. Ob es soweit kommt, bleibt abzuwarten.

Sanktionen ausbauen, humanitäre Hilfe runterfahren

Die USA haben es geschafft, das internationale Sanktionsregime gegenüber dem schlauen, aber brutalen Diktator noch einmal entscheidend zu verschärfen. Trump gelang es, die Chinesen zu überzeugen, ihren Handel in Richtung Nordkorea einzuschränken. Auch die Schweiz setzt die Resolution 2397 des UN-Sicherheitsrates um und hat die Sanktionen Ende April erneut verschärft. Durch die Sanktionen wird das bereits bestehende Verbot der Erteilung von Arbeitsbewilligungen verschärft, die Einfuhr von Erdölfertigprodukten reduziert und der Verkauf und die Lieferung von Industriemaschinen und Fahrzeugen verboten.

Derweil wird bei der humanitären Hilfe gespart. So fehlen beim WFP gegenwärtig wichtige Mittel zur Durchführung von humanitären Programmen. Die UN-Organisation machte Ende 2017 darauf aufmerksam, dass unter diesen Voraussetzungen knapp 200’000 Kindern weniger geholfen werden könne. Die Folgen der jüngsten UN- und bilateralen Sanktionen hätten dabei direkte Auswirkungen auf die Arbeit des Hilfsprogramms.

Das «Window of Opportunity» nutzen!

Kim Jong-uns zögerliche wirtschaftliche Öffnung (u.a. die Eröffnung von Special Economic Zones) hat nicht die erhofften und dringend benötigten Devisen ins Land gespült. Gleichzeitig zeigen die internationalen Sanktionen ihre Wirkung und isolieren das Land zusätzlich. Schliesslich steht China nicht mehr so stark hinter dem Diktator; das Atomprogramm wurde zu aggressiv vorangetrieben.

Kim Jong-un macht den ersten Schritt, geht auf Südkorea und China zu. Trump kann sich nun nicht mehr damit brüsten, das nordkoreanische Regime in die Knie gezwungen zu haben. Er muss am bevorstehenden bilateralen Treffen liefern. Und ebenfalls konkrete und konstruktive Angebote unterbreiten.

Sollte Nordkorea tatsächlich beabsichtigen, das Atomprogramm zu beenden und IAEA-Kontrolleure ins Land zu lassen, müssen die Sanktionen gelockert werden, muss die Hilfe schnell wieder aufgestockt werden, müssen die provokativen und destabilisierenden Militärübungen zusammen mit Südkorea aufhören und ein Nicht-Angriffs-Versprechen abgegeben werden.

Die Schweiz, die EU sowie relevante internationale Organisationen müssen Trump und Kim Jong-un in die Pflicht nehmen und positive Veränderungen im Interesse der leidenden und unterdrückten nordkoreanischen Bevölkerung einfordern. Geopolitische Interessen und Machtspiele müssen zurückgestellt werden. Fortan müssen ländliche und einkommensschwache Bevölkerungsschichten, Kleinkinder, junge Mütter und Rentner ins Blickfeld rücken.

Ob Trumps pseudo-diplomatische „Spiel“ aufgeht, ist offen. Ebenso offen ist, ob es dem jungen Diktator dieses Mal wirklich ernst ist. Feststeht hingegen bereits jetzt: die Ärmsten leiden am stärksten unter den Machtspielen und Kürzungen beim humanitären Engagement. Trump ist (hoffentlich) Ende November 2020 weg, der Hunger in Nordkorea wird wohl noch einige Jahre andauern.

 

Schweizer Engagement in Nordkorea

Seit 1995 führt die Schweiz humanitäre Programme in Nordkorea durch. Die DEZA unterstützt Nordkorea, Hanglagen landwirtschaftlich zu nutzen und vor Erosion zu schützen. Sie fördert die Gesundheit der Bevölkerung durch den verbesserten Zugang zu sauberem Trinkwasser und sanitären Installationen und verteilt Milchpulver über das WFP. Die DEZA geniesst dank langjährigem Engagement, Zuverlässigkeit und thematischer Kompetenz bei ihren nationalen und internationalen Partnern grosses Vertrauen. Die Schweiz ist eine der grössten Gebernationen.

Auch die EU engagiert sich seit 1995 im humanitären Bereich. Die European Commission’s Civil Protection and Humanitarian Aid Operations fokussiert dabei auf Nahrungsmittelhilfe, den Gesundheitsbereich und den Zugang zu sauberem Wasser und sanitären Anlagen.

Darüber hinaus leisten noch weitere Organisationen eingeschränkt humanitäre Hilfe, unter anderem das IKRK und Caritas International.


Image: Patrik Berlinger, Nordkorea 2015