Unter Beschuss der Rüstungsindustrie: Politik hisst die weisse Flagge

Paix et sécurité

Von Simon Schädler und Alexander Spring – Kriegsmaterialexporte sind ein Dauerbrenner im Politikalltag der Schweiz: Menschenrechtsvertreter fordern einen strikten Umgang mit Rüstungsexporten; die Wirtschaft klagt über Einbussen. Ein (Etappen-)Sieg zeichnet sich nun für die Wirtschaftslobby ab. Gemäss einer Motion der sicherheitspolitischen Kommission des Ständerates sollen bei Exportbewilligungen wirtschaftliche Interessen Menschenrechtsbedenken vorgehen. Eine gefährliche Partie zwischen Wirtschaft, Politik und Völkerrecht – mit den Menschen in Konfliktregionen als Verlierer.

Die Zahlen versprachen für die helvetische Rüstungsindustrie nichts Gutes: Nach mehreren Jahren des Booms sank 2012 der Export von Kriegsmaterial um 20 Prozent. Sofort ging das Schreckensgespenst des Stellenabbaus um; schlagartig stieg der Druck aus der Rüstungsindustrie auf die Politik. Davon lassen sich Berner Parlamentarier offenbar zunehmend beeindrucken: Vor zwei Jahren noch war die Zeit für Bruno Fricks Begehren nicht reif – der CVP-Mann und Ständerat skandierte in seinem Postulat „gleich lange Spiesse für Schweizer Rüstungsbetriebe“ und forderte grosszügigere Exportkriterien. Nun aber fährt die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats (SIK) härtere Geschütze gegen die strikten Exportregelungen für Kriegsmaterial auf.

Der Kriegsmaterialexport soll angekurbelt werden. Hierfür will die SIK mit ihrer Motion das Kriegsmaterialrecht revolutionieren: Der Bundesrat benötige einen grösseren Spielraum bei der Erteilung von Exportbewilligungen. Nur so könne die gebeutelte Rüstungsindustrie in Schweizer Randregionen geschützt werden. Hindernisse scheinen dabei die absoluten Ausschlusskriterien von Art. 5 Abs. 2 der Kriegsmaterialverordnung zu sein. Die SIK fordert deshalb drei Änderungen des geltenden Rechts – und dreht damit das Rad in die Zeit vor 2008 zurück. Dies bedeutet einen grossen Rückschritt in einer von Revolutionen, Bürgerkriegen und humanitären Katastrophen geprägten Ära. Die Änderungen haben weitaus mehr Gewicht, als es der nüchterne Begriff der ‚Verordnungsrevision’ vermuten liesse.

Drei fragwürdige Änderungen

Zum Ersten soll das absolute Verbot von Kriegsmaterialexporten in Länder fallen, die in einen internationalen oder internen bewaffneten Konflikt verwickelt sind. Konkret heisst dies: Grünes Licht für Schweizer Waffenexporte in „völkerrechtlich zulässige“ internationale bewaffnete Konflikte. Schweizer Waffenlieferungen an Staaten zur Selbstverteidigung oder bei einem vorliegenden UNO-Mandat klingen auf den ersten Blick ganz vernünftig. Eine präzisere Analyse zeigt jedoch, dass dadurch die Verwaltung – im Einzelfall sogar der Bundesrat – beauftragt würde, über die völkerrechtliche Legitimität eines bewaffneten Konflikts zu urteilen, bevor ein Waffengeschäft gebilligt wird. Die Konsequenzen sind problematisch: Vergleichbare Urteile sind selbst unter renommierten Völkerrechtsexperten umstritten. Grenzen zwischen gerechtfertigter und ungerechtfertigter Gewaltanwendung bestehen kaum und die (katastrophalen) Ausmasse werden meist erst Jahre später offenbar. Man stelle sich vor, der Bundesrat müsste die völkerrechtliche Zulässigkeit des Georgien- oder Kaschmirkonflikts abschliessend beurteilen. Trotz aller Expertise: Jeglicher Entscheid würde die Schweiz auf dünnes Eis manövrieren. Waffenlieferungen in falsche Hände lassen sich nur mit einem absoluten Exportverbot in Konfliktregionen vermeiden.

Zum Zweiten fordert die SIK, dass schweizerische Waffenexporte nur untersagt sind, falls im Käuferstaat „ein hohes Risiko besteht, dass das auszuführende Kriegsmaterial für die Begehung von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen eingesetzt wird“. Diese Formulierung öffnet Tür und Tor für Waffenlieferungen in Staaten, in denen schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen werden. Solange kein hohes Risiko besteht, dass Schweizer Panzer, Handgranaten oder Patronen direkt Menschenrechtsverletzungen dienen, verbleiben Unrechtsregimes im Kundenstamm von Schweizer Rüstungsfirmen. Lieferungen nach Sri Lanka, Kirgisistan und die Elfenbeinküste wären ohne eingehende Berücksichtigung der Menschenrechtslage möglich.

Zum Dritten soll ein bewährtes objektives Exportkriterium durch eine verklausulierte Formulierung ersetzt werden. Das geltende Recht sieht vor, dass keine Waffen an die weltweit unterentwickeltsten Länder verkauft werden dürften. Gemäss dem Wunsch der SIK wären Exporte künftig nur ausgeschlossen, falls die „sozio-ökonomische Entwicklung“ eines Käuferstaates durch die Waffenlieferung „massgeblich beeinträchtigt“ wäre. Mit dieser kryptischen Klausel soll nun das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) den Einfluss einer Schweizer Waffenlieferung für die Volkswirtschaften Haitis, Laos’ oder Zambias zu beurteilen? Ein fragwürdiger Spielraum für die Schweizer Verwaltung.

Kurzfristige Profite auf Kosten der Menschenrechte?

Der Druck der Kriegsmateriallobby scheint sich in das Gewissen der Ratsmitglieder eingebrannt zu haben. Entgegen den Zeichen der Zeit – die Völkergemeinschaft bemüht sich seit Langem um eine einheitliche und menschenrechtskonforme Ausgestaltung des internationalen Waffenhandels – sind ethische Bedenken diesen Sommer in Bern weniger hoch im Kurs als die Volkswirtschaften strukturschwacher Regionen. Drei gewichtige Änderungen des Kriegsmaterialexportrechts sollen Arbeitsplätze schützen sowie das Fachwissen und die Verteidigungsbereitschaft der Eidgenossenschaft erhalten. Kurzfristige Gewinne und neue Rüstungs-Absatzmärkte im Nahen Osten und in Asien verlocken und täuschen über problematische Konsequenzen der vorgeschlagenen Neuregelung hinweg. Nun sind das starke Rückgrat des Bundesrates und mutige Schritte des EDA gefordert. Die bestehende Kriegsmaterialverordnung stellt Menschenrechte und damit Menschenleben über Profite. Dies gilt es vehement zu verteidigen.

Simon Schädler ist Doktorand in Zürich und Gastwissenschaftler am Menschenrechtszentrum der Universität Potsdam und an der Humboldt-Universität zu Berlin; Alexander Spring ist Assistent und Doktorand an der Universität Bern im Bereich Völkerrecht und Menschenrechte. Beide sind Co-Autoren der Studie von foraus – Forum Aussenpolitik „Der Schweizerische Kriegsmaterialexport auf dem Prüfstand“.

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