Stärkung der Demokratie? Auswirkungen der Initiative „Staatsverträge vors Volk“

Droit international

Von Simon Haefeli Nachdem im letzten Blogbeitrag die Bestimmungen der Initiative kommentiert wurden, wird hier auf die Auswirkungen der Annahme eingegangen. Die Autoren befürchten, dass die Schweiz aussenpolitischen Handlungsspielraum preisgibt und dass eine Stärkung der Demokratie dagegen nicht erfolgen würde. (Blogserie Teil 2)

Die Initianten gehen davon aus, dass Staatsverträge heute demokratisch nicht legitimiert seien. Das ist falsch: Das demokratisch gewählte Parlament genehmigt jährlich rund 500 Staatsverträge. Von diesen unterstehen die wichtigen Verträge bereits dem fakultativen Referendum. Seit Einführung des Staatsvertragsreferendums 1921 wurde nur zehnmal das Referendum ergriffen – bei 296 Möglichkeiten. Nur zwei Staatsverträge wurden abgelehnt: Der letzte im Jahre 1976, ein Darlehen von 200 Mio. Franken an die internationale Entwicklungsorganisation.

Das fakultative Referendum hat eine wichtige Funktion: Die Mitsprache des Volkes in der Aussenpolitik ist ein Kontrollinstrument über das Parlament und den Bundesrat. Und wie die Geschichte zeigt: Es führt auch zu einer grossen Akzeptanz der Staatsverträge.

Folgen einer Annahme

Weil in den letzten Jahren vermehrt die Erkenntnis gereift ist, dass Probleme multilateral gelöst werden müssen, werden auch immer häufiger multilaterale Staatsverträge abgeschlossen. Diese unterliegen bei Annahme der Initiative dem obligatorischen Referendum, wenn sie einen wichtigen Bereich betreffen; dieser kann unterschiedlich interpretiert werden (siehe dazu Beitrag Nr. 1).

Die Folge ist, dass sich die Auswirkung der Initiative nur schwierig einschätzen lässt: Der Bundesrat geht von einer Zunahme der Abstimmungen von 30 Prozent aus, was drei bis vier zusätzlichen Abstimmungen pro Jahr entspricht; die Autoren des foraus-Diskussionspapiers von acht zusätzlichen Abstimmungen. Nach zwei Studien der economiesuisse würde es sich sogar um neun zusätzliche Abstimmungen handeln.

Aussenpolitischer Handlungsspielraum

In beiden Fällen würde der Handlungsspielraum der schweizerischen Verhandlungsdelegationen stark eingeschränkt. Diese handeln gleichsam als Vertreter des Volkes und der Stände. Sie schliessen Verträge mit einem Genehmigungsvorbehalt zugunsten derselben ab. Insbesondere in multilateralen Verhandlungen können sich aber diejenigen Länder am besten einbringen, für welche die Verträge von Beginn weg Geltung haben. Mit dem fakultativen Referendum besteht in der Schweiz zwar bereits eine gewisse Verzögerung in der Genehmigung von Staatsverträgen.

Die Unsicherheit über die Verbindlichkeit des Handelns der Verhandlungsdelegationen ist aber klein: Dank dem massvollen Umgang mit dem Volksrecht des fakultativen Referendums werden die Verhandlungsdelegationen als Vertreter der Schweiz wahrgenommen. Mit dem gemäss den Initianten einzuführenden obligatorischen Referendum würde sich dies ändern – die Unsicherheit über die Verbindlichkeit der Zusagen der Schweiz würde die Verhandlungsdelegationen zu einflusslosen Marionetten degradieren. Dementsprechend würden sie nicht mehr ernstgenommen und könnten die Schweizer Interessen nicht mehr wirksam vertreten.

Demokratischer Gewinn?

Dieser Schwächung steht das Argument gegenüber, die Demokratie würde gestärkt. Das obligatorische Referendum stärkt aber insbesondere den Föderalismus, und nicht die Demokratie. Da beim obligatorischen Referendum auch die Stände zustimmen müssen, haben die Bewohner der Kleinkantone ein überproportionales Stimmgewicht – im Vergleich zwischen Appenzell und Zürich ein rund 60-faches. Diese Kräfteverhältnis war zur Zeit der Entstehung der Schweiz wohl gerechtfertigt, in der Aussenpolitik scheint sie aber fehl am Platz. Denn die kleinen Kantone werden durch Staatsverträge nicht stärker betroffen als die grossen.

Dass bei knapp 300 Möglichkeiten nur zwei Verträge abgelehnt worden sind, zeigt: Das Volk ist in den meisten Fällen mit den abgeschlossenen Staatsverträgen einverstanden. Die Einführung des obligatorischen Referendums ist damit einerseits unnötig, andererseits stärkte es den Föderalismus in einem Bereich, der diese Stärkung nicht rechtfertigt. Auf der anderen Seite steht für die Schweiz ihre Glaubwürdigkeit als Verhandlungspartner in multilateralen Verhandlungen auf dem Spiel. Aus diesen Gründen sprechen sich die Autoren für eine Ablehnung der Initiative aus.

lic. iur. Simon Haefeli (28) ist Jurist und Vorstandsmitglied von foraus sowie Mitverfasser der foraus-Studie zur Initiative.

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