Die schweizerische Neutralität: Das wiederkehrende Scheuklappenargument bei Fragen der Sicherheitspolitik

Paix et sécurité

Von Alexander Spring – Das Neutralitätsargument hat bei sicherheitspolitischen Fragen Hochkonjunktur. Doch oft wird es extensiv und auf eine ungerechtfertigte Art und Weise in der Schweizer Politik eingesetzt. Unter Umständen schränkt dies das Blickfeld für sicherheitspolitische Entscheidungen zu stark ein. Diese Gefahr besteht auch bei der geplanten Beschaffung der Gripen.

Die schweizerische Neutralität verlor seit dem Ende des Kalten Krieges zwar international an Bedeutung, wird aber nach wie vor oft und gerne von Schweizer Politikern als Argument zur Rechtfertigung von politischen Entscheiden gebraucht. Besonders bei sicherheitspolitischen Fragen. Dies lässt sich schön an drei aktuellen Beispielen illustrieren: Bei der Beziehung der Schweiz zur UNO, bei der Wehrpflichtsinitiative und bei der Gripenbeschaffung.
Das weiterhin gespannte Verhältnis der Neutralität zur UNO

Letztes Jahr feierte die Schweiz erst das zehnjährigen Jubiläum ihres UNO-Beitritts. Selbst im Vergleich zu anderen neutralen Staaten eine sehr kurze Zeitdauer. Österreich, der zweite verbleibende permanent neutrale Staat in Europa, ist schon seit 1955 Vollmitglied der Vereinten Nationen. Die Schweiz folgte erst rund 50 Jahre später. Hauptgrund war die spezielle restriktive Neutralitätsauffassung der offiziellen Schweiz, die sich auch auf die Bevölkerung übertragen hatte und 1986 in der Ablehnung einer Volksinitiative für den UNO-Beitritt gipfelte. 75% der Stimmbevölkerung und alle Stände schickten die Initiative Bach ab. Erst das Ende der bipolaren Welt und die Deblockierung des Sicherheitsrats, der nun im Namen der Weltgemeinschaft konsequenter gegen Aggressoren vorging, führten die permanent neutrale Schweiz in die Vereinten Nationen.

Ähnlich gelagert ist die Diskussion rund um einen möglichen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Obwohl sich neutralitätsrechtlich keine Probleme ergeben und andere neutrale Staaten auch politisch gute Erfahrungen mit einem Sitz im Sicherheitsrat gemacht haben (Österreich beispielsweise 1973/74), klammern sich rechtsbürgerliche Kreise weiterhin ans Neutralitätsargument.

Eine ordentliche Prise Neutralität auch bei der Wehrpflichtsinitiative

Das Neutralitätsargument wird auch bei der Wehrpflichsinitiative wieder strapaziert. Das zeigen die Wortprotokolle des National- und Ständerats bei der parlamentarischen Diskussion der Initiative. Obwohl die Botschaft zur Initiative klar festhält, dass das Neutralitätsrecht der Schweiz nicht vorschreibt, wie sie ihre Armee zu organisieren hat, wird die Frage um die Wehrpflicht zu einer Grundsatzfrage um die Schweizer Armee und damit automatisch zu einer Neutralitätsfrage hochstilisiert. Dabei wäre neutralitätsrechtlich selbst die Abschaffung der Armee möglich, da sich aus dem permanent neutralen Status der Schweiz keine rechtliche Vorwirkung zur Aufrechterhaltung einer bestimmten Verteidigungskapazität ergibt.

Das herumschwirrende Neutralitätsargument bei der Beschaffung des Gripen

Auch bei der Beschaffung des Gripen schwirrt das Neutralitätsargument wieder im Raum rum. Ein heute erschienenes foraus-Diskussionspapier setzt sich daher eingehend mit dem Thema „Die Gripenbeschaffung und das Neutralitätsargument“ auseinander. Dabei wird klar, dass das Neutralitätsargument auch in diesem Fall als Argument für die Beschaffung ungeeignet ist und grösstenteils ins Leere läuft. Die Beschaffung ist weder neutralitätsrechtlich gefordert (auch hier keine rechtliche Vorwirkung), noch führt sie zu einer Stärkung der Neutralitätspolitik, da eine autonome Luftraumüberwachung durch unser internationales Umfeld seit dem Kalten Krieg nicht mehr gefordert wird.

Weg mit den sicherheitspolitischen Scheuklappen

Diese drei Beispiele zeigen auf, dass die Neutralität bei sicherheitspolitischen Fragen oft als Scheuklappen für ein Veränderungs- und Denkverbot eingesetzt werden. Doch gerade im Zusammenhang mit Sicherheitsbedrohungen können sich argumentative Scheuklappen als gefährlich erweisen. Sie verengen den Horizont, an dem neue Bedrohungslagen sich abzeichnen könnten.