Debatte zum Mohammed-Film: Weshalb Feuerleger Brandstifter sind. Und Feuerrufer es sein können.

Droit international

Von Simon HaefeliDarf sich auf die Meinungsäusserungsfreiheit berufen, wer durch seine Meinung die Aussenbeziehungen des Landes gefährdet oder gar die Sicherheit von Menschen? – Jein. Grundrechte sind dort zu schützen, wo sie bedroht werden. Eine Grenze der Ausübung der Grundrechte muss dennoch gezogen werden.

„To justify suppression of free speech, there must be reasonable ground to fear that serious evil will result if free speech is practiced. There must be reasonable ground to believe that the danger apprehended is imminent. There must be reasonable ground to believe that the evil to be prevented is a serious one.“
Louis Dembitz Brandeis, in: Whitney v. California, 192, dissenting opinion

Während ich mit vielem von Stefan Schlegels Entgegnung zu Ulrich Guts persönlichem Beitrag zur Meinungsfreiheit einverstanden bin, veranlasst mich der letzte Absatz zu einer weiteren Entgegnung. An dieser Stelle wird nicht bestritten, dass die Macher des Mohammed-Films und die Urheber der Satiren den Schutz der Meinungsfreiheit für sich in Anspruch nehmen können müssen. Weder bin ich der Meinung der Macher des Mohammed-Films, noch würde ich mein Leben dafür geben, damit diese ihre Meinung äussern könnten – dafür bin ich zu feige und sind die Macher mir zu unsympathisch. Ich ziehe aber den Hut vor jedem, der dies tun würde.

Ein Video als vorsätzliche Tötung?

Die Verabsolutierung der Meinungsfreiheit mit der einzigen Grenze der Rettung eines Lebens aber ist einerseits zu weitreichend, andererseits nicht hilfreich. Denn zwischen dem Mohammed-Film und dem Tod mehrerer Menschen, unter anderem des US-Botschafters in Libyen, Christopher Stevens, gibt es einen direkten Zusammenhang. Nun waren zwar mutmasslich Mitglieder der Al-Qaida für die Tötung der Mitarbeiter der US-Botschaft verantwortlich; aber auch diese teilten mutmasslich mit den weiteren Protestierenden die Empörung über den Film, jedenfalls nutzten sie den Protest zur Ausführung ihrer Tat. Man könnte durchaus mit guten Gründen vertreten, der Tod eines (allerdings unbestimmten) Menschen sei zu erwarten gewesen, zumal die Reaktionen auf die Mohammedkarikaturen der dänischen Jyllands-Posten aus dem Jahre 2005 ähnlich heftig ausfielen und seither wohl kaum von einem gelockerten Umgang mit Angriffen auf Grundlagen und Zeichen des Islams in muslimischen Ländern gesprochen werden kann. Selbst mit der Nutzung der Proteste zur Ausführung einer Bluttat durch eine terroristische Organisation konnte gerechnet werden.

Am Vorsatz, mittels Film heftige Reaktionen unter muslimischen Gläubigern auszulösen, kann kaum gezweifelt werden, muss doch die echte Satire beissen. Damit könnte man – juristisch gesprochen, aber nicht juristisch zu verstehen – von eventualvorsätzlicher Tötung in mittelbarer Täterschaft ausgehen, wobei die protestierenden Muslime als Tatwerkzeug und Tatgehilfen instrumentalisiert wurden.

Grenzen der Meinungsäusserungsfreiheit als Notwendigkeit

Diejenigen die an Kundgebungen zum Film teilgenommen haben, haben lediglich ihr Recht auf Meinungsäusserungsfreiheit wahrgenommen. Sie sind Feuerrufer und lösten unter anderem die Veröffentlichung der Karikaturen in Charlie-Hebdo aus. Wer die Kundgebungen zum Anlass genommen hat, Botschaften anzuzünden und Menschen zu töten, hat ebenfalls seine Meinung ausgedrückt. Lediglich konsequenter – mittels Gewalt. Grundsätzlich können aber auch Taten von der Meinungsäusserungsfreiheit geschützt sein, beispielsweise das Entrollen von Transparenten oder das Veranstalten von Sit-ins.

Dennoch sollen sich die gewalttätigen Demonstranten nicht unter dem Deckmantel der Meinungsäusserungsfreiheit verstecken können; der Ausdruck einer Meinung durch das Töten eines Menschen kann nicht schützenswert sein (wobei selbst hier Ausnahmen denkbar sind: So etwa bei Stauffenbergs Anschlag auf Hitler?). Nun wird im Beitrag von Stefan Schlegel ja durchaus nicht behauptet, die Meinungsäusserungsfreiheit sei grenzenlos zu schützen. Es wird aber immerhin gesagt, lediglich der Feuerlegende könne Friedensstörer sein, nicht aber der Feuerrufende.

Die Krux mit der Grenzziehung

Grenzziehungen sind meist schwierig und konfliktträchtig. So auch hier. Im Theater Feuer zu rufen und dadurch eine Massenpanik auszulösen, ist ein dummer Streich, der üble Konsequenzen haben kann. Und deshalb ist abzuwägen, ob er durch die Meinungsäusserungsfreiheit geschützt sein soll, selbst wenn wir nie mit Sicherheit erfahren werden, ob der Feueralarm falsch ist oder nicht. Denn neben der Meinungsäusserungsfreiheit gibt es weitere schützenswerte Güter, so den Gesellschaftsfrieden. Und es sollte die Aufgabe des Staates sein, seinen Bewohnern genügend Sicherheit zu geben, um die Meinungsäusserungsfreiheit auszuüben.

Der Mohammed-Film ist aber nicht zu verbieten: Nicht weil er als Satire absolut schützenswert wäre und nicht weil die Meinungsäusserungsfreiheit keine Rücksicht auf die Aussenpolitik nehmen muss. Sondern, weil erstens die Erhaltung des Gesellschaftsfriedens anderer Staaten oder des Weltfriedens weder Aufgabe des Einzelnen noch des Staates ist, weil – in leichter Abänderung von Stefan Schlegels Aussage – zweitens die freie Meinung unmöglich geschützt werden kann, wenn sie überall dort verboten wird, wo die Gegner der geäusserten Meinung bereit sind, mit Gewalt zu drohen und weil drittens die Grenzen der Verhältnismässigkeit bei einem Verbot des Mohammed-Films überschritten würden.

Simon Haefeli wohnt in Zürich. Er ist Rechtsanwalt, Gründungs- und Vorstandsmitglied von foraus – Forum Aussenpolitik.

Der foraus-Blog ist ein Forum, das sowohl den foraus-Mitgliedern als auch Gastautoren/innen zur Verfügung gestellt wird. Die hier veröffentlichten Beiträge sind persönliche Stellungsnahmen der Autoren/innen. Sie entsprechen nicht zwingend der Meinung der Redaktion oder des Vereins foraus.