Afghanistan unter den Taliban als neue Machthaber – Geläuterte oder nur gewiefte Schönredner?

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Nachdem in den letzten knapp zwei Wochen afghanische Provinzen wie Dominosteinen an die Taliban fielen schaut die Welt gebannt nach Afghanistan und fragt sich, was die Taliban mit der nach 1996 zum zweiten Mal gewonnenen Macht anstellen werden.
Bis jetzt geben sich diese vor allem in den Städten geläutert und werden nicht müde zu betonen, dass sie keinerlei Rachegelüste hegen würden. Auch Frauen sollen ihre Rechte, innerhalb dem von der Scharia gesetzten Rahmen, behalten dürfen.
Erst die kommenden Wochen und Monate werden zeigen, wie ernst es den Taliban mit diesen Ankündigungen ist und inwiefern Erobern und Regieren zwei verschiedene Paar Schuhe sind.

Trotzdem gibt es Grund zu vorsichtigem Optimismus. Zum einen, weil es durchaus Gründe gibt, die für eine, zumindest teilweise, Läuterung der Taliban sprechen. Zum anderen bleiben der internationalen Gemeinschaft, inklusive der Schweiz, doch noch Möglichkeiten, um wenigstens bedingt Einfluss auf die Entwicklung vor Ort zu nehmen. Im Folgenden sollen je drei dieser Gründe beziehungsweise Möglichkeiten angeführt werden.

Zunächst muss festgehalten werden, dass die Taliban aus ihren Fehlern der 90er Jahre gelernt haben. Sie wissen also erstens, dass sie auf funktionierende Strukturen angewiesen sind und dazu etwa Bildungspersonal, PflegerInnen, ÄrztInnen[1] und Wasser- sowie Elektrizitätswerke brauchen.
Zweitens wissen sie auch, dass sich die Welt seit 1996 massiv verändert hat, allem voran durch das Internet. Genauso wie von den Taliban während des Eroberungszugs geschickt als Propagandamittel eingesetzt, können das Internet und die sozialen Medien für die neuen Machthaber auch zum Dorn im Auge werden. Im grossen Unterschied zu vor 20 Jahren können und werden Gräueltaten nun eher dokumentiert und mit der Weltöffentlichkeit geteilt. Dies wäre dem Image der Taliban, welches sie nun krampfhaft zu verbessern versuchen, weder im In- noch im Ausland dienlich.
Drittens erhält Afghanistan Milliarden an Not- und Entwicklungshilfe aus dem Ausland. Ob und inwiefern diese Gelder nach der Machtergreifung der Aufständischen weiterfliessen werden, wird sich zeigen. Sicher ist aber, dass die Bevölkerung Afghanistans darauf angewiesen ist, um der grassierenden Armut und der Dürre beizukommen. Die Taliban tun also gut daran, internationale Sanktionen um jeden Preis zu verhindern.

Es wird also klar, dass die Taliban, um langfristig und erfolgreich zu regieren, zwingend den Rückhalt der Bevölkerung brauchen. Zurzeit sympathisieren aber nur etwa  ein Drittel der Afghanen – von den Afghaninnen ganz zu schweigen – mit den neuen Machthabern. Wenn die breite Bevölkerung zum Schluss kommt, dass ihre Lebensqualität und ihre Entwicklungsmöglichkeiten noch stärker eingeschränkt sind als unter dem geflüchteten Präsidenten Ashraf Ghani, dürfte es für die Taliban schwierig werden sich an der Macht zu halten.

Unabhängig vom tatsächlichen Mass der Läuterung der Taliban sollte die internationale Staatengemeinschaft, inklusive der Schweiz zeitnah versuchen die Geschehnisse zumindest so weit als möglich in positive Bahnen zu lenken.
Mittel dazu wären erstens die Unterstützung der aus Afghanistan Geflüchteten, ganz im Sinne der humanitären Tradition der Schweiz. Da der Bundesrat eine Aufnahme von «Kontingentflüchtlingen» vorerst ausgeschlossen hat, sollte sich die Unterstützung auf die (teils bitterarmen) Nachbarländer Afghanistans und deren Umgang mit den zweifellos zahlreichen Flüchtlingen konzentrieren. . Zweitens sollten Organisationen, die immer noch in Afghanistan ausharren (finanziell) unterstützt werden, da durch sie die lokale Bevölkerung direkt erreicht und zumindest teilweise versorgt werden kann. Drittens gilt es via multilaterale Organisationen eine einheitliche Strategie zum Umgang mit den Taliban zu entwickeln und diese als Druckmittel einzusetzen und konsequent umzusetzen.

[1] Wobei unklar bleibt, ob auch Frauen ihren Berufen weiter nachgehen dürfen oder dies nur auf männliches Bildungspersonal, Pfleger und Ärzte zutrifft.

 

Bild: Unsplash.