Trauriges Basler Nachspiel: Markus Somm erklärt die US-Präsidentschaftswahl

Diplomatie & internationale Akteure

Jonatan Niedrig In einem geradezu sensationell schlechten Kommentar erklärt uns Markus Somm, Chefredaktor der BaZ, weshalb 60 Millionen Amerikaner den falschen Präsidenten gewählt haben.

Give me your tired, your poor,
Your huddled masses yearning to breathe free,
The wretched refuse of your teeming shore.
Send these, the homeless, tempest-tost to me,
I lift my lamp beside the golden door!

Emma Lazarus, 1883

Schön wäre es, man hätte griffige Verhaltensregeln für Situationen zur Hand, bei welchen sich ob des schieren Ausmasses der einem dargebotenen Angriffsfläche beinahe ein Gefühl der Überforderung einstellt. Eher unschön ist es hingegen, wenn sich jemand – nicht etwa in der Rolle des random Heinis, sondern in führender Funktion – zu einem aktuellen Thema äussert, von dem er a) wenig Ahnung zu haben scheint und welches b) die unvorteilhafte Gelegenheit mit sich bringt, seine Ewiggestrigkeit aufblitzen zu lassen.

Hawaii oder Indonesien oder Kenia oder Chicago

Mangels eingangs erwähnter, an dieser Stelle aber äusserst willkommener Verhaltensregeln soll stattdessen und intuitiv mit dem Ärgsten begonnen werden: Markus Somm befindet sich in guter Gesellschaft mit intellektuell erratischen Vertretern des Rechtsausssen-Flügels der republikanischen Tea-Party-Bewegung, den „Birthers“, wenn er zumindest implizit so tut, als sei die Herkunft Barack Obamas auch nur im Entferntesten unklar. Glaubt er das wirklich, so ist er ein ewiggestriger Verschwörungstheoretiker; ist es bloss ein Stilmittel, so ist es gerade das Gegenteil – nämlich stillos und dumm – Barack Obama zu unterstellen, er wisse nicht, wer er sei und woher er eigentlich komme. Diese an sich bereits äusserst fragwürdigen Überlegungen münden in folgende, beinahe grotesk anmutende Quintessenz: Obama schaffe sich dadurch – also durch sein fehlendes Herkunftsbewusstsein – ein neues, eigenes Amerika, das mit dem ­«Land der Tapferen und Freien» nicht mehr viel gemein haben werde. Man reibe sich die Augen: Dabei war (und ist) die Essenz Amerikas, dass Leute, die nirgendwo her sind und nirgendwo hinkönnen, einen Platz auf der Welt haben, an dem sie es auf eigene Faust versuchen dürfen und es mit Talent und Ehrgeiz überall hin bringen können. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass Markus Somm Emma Lazarus‘ Sonnet von 1883, an der amerikanischen Freiheitsstatue angebracht, gelesen und/oder verstanden hat.

Fakten sind für Sozialisten

Die möglicherweise von Markus Somm angestellte Überlegung, dass es – von unten her betrachtet – bis zu einem bestimmten argumentativen Niveau unerheblich ist, wie es sich genau mit Tatsachen umzugehen pflegt, ist bedauerlich. Wenn einem partout keine sachlichen Argumente für eine Bevorzugung Romneys in den Sinn kommen – was im Übrigen zumindest durchaus diskutierbar wäre – dann scheint im Zweifelsfall immer noch die Möglichkeit zu bestehen, auf plumpste Art die Faktenlage umzukehren und ohne irgendwelche Erläuterungen das Gegenteil zu behaupten: Für Markus Somm ist – ganz im Gegensatz zum Rest Europas – sonnenklar, dass der mit Abstand linkste Präsident aller Zeiten (den er in haarsträubender Ignoranz der amerikanischen Politlandschaft als Sozialdemokraten bezeichnet) die Hauptschuld daran trägt, dass die politische Situation zwischen Obama und der Opposition derart blockiert ist. Wer sich erhofft, im Anschluss an diese doch eher gewagte Behauptung einen scharfsinnig-analytischen Husarenstreich vorgesetzt zu bekommen, wird enttäuscht. Die Argumentation ist derart lausig, dass sie nur im Original widergegeben werden kann:

“Tatsache ist indessen, es liegt zum grössten Teil an Obama. An seiner Persönlichkeit, an seinem Programm, an seiner Mission.”

Aha. Tatsache ist zum Beispiel auch, dass es in Sachen Klimaerwärmung zum grössten Teil an der Sonne liegt, insbesondere an ihrer Mission.

Vom beschränkten Nutzen eines Random-Satz-Generators

Eine umfassende Demontage sämtlicher zum Teil geradezu unerträglich undifferenzierter Behauptungen von Markus Somms Kommentar sprengt den Platz eines lesbaren Blogbeitrags. Nebst dem inhaltlichen und stilistischen Trauerspiel – der Text besteht im Wesentlichen aus einer unvorteilhaften Mischung von Polemik, Fatalismus und unprofessioneller Larmoyanz – wäre im Weiteren auch noch zu lamentieren, dass es ihm nicht einmal gelingt, irgendeinen direkten Bezug zur Relevanz der Wahl Obamas für die Schweiz herzustellen, obwohl sich diesbezüglich wenigstens eine Handvoll – allerdings zu einem grossen Teil spekulative – Argumente für eine gegenüber dem schweizerischen Bankenplatz möglicherweise in Vergleich zur Administration Obamas wohlgesinntere republikanische Präsidentschaft angeboten hätte. Am Ende seines Kommentars stellen sich dem Leser viele Fragen, darunter auch diejenige, ob man bei einem Artikel mit dem Titel „Amerika hat gewählt – den Falschen“ etwas überlesen hat – aber nein: Markus Somm bringt es fertig, mit keinem einzigen Satz darauf einzugehen, was der richtige Präsident Mitt Romney anders oder besser machen würde.

Auch wenn er inhaltlich völlig belanglos ist, so scheint Markus Somms unterirdischer Kommentar bei allem Erstaunen doch nicht fehl am Platz, zumindest seine charakterliche und intellektuelle Eignung als Chefredaktor einer grossen schweizerischen Tageszeitung mit einem Fragezeichen zu versehen.

Jonatan Niedrig wohnt in Zürich. Er ist Jurist und Mitglied der foraus-Arbeitsgruppen Völkerrecht und Menschenrechte/humanitäre Politik.

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