Von Jonatan Niedrig – Was für private Unternehmen gilt – nämlich die harte Selektion der freien Marktwirtschaft – soll auch auf internationale Organisationen anwendbar sein. Diese Forderung, von avenir suisse in einem aktuellen Beitrag aufgestellt, ist wenig hilfreich und kaum mehr als sachlich falsches Wunschdenken wirtschaftsliberaler Kreise.
Eine Replik auf http://www.avenir-suisse.ch/internationale-organisationen-sterben-nie/2011/06/
Warum Autos keine Toaster sind
Es ist tatsächlich richtig, dass internationale Organisationen nicht sterben. Sie lösen sich nämlich bloss auf – etwas weniger dramatisch vielleicht als ein institutioneller Tod, aber mit dem gleichen Ergebnis. Soweit besteht also Einigkeit. Über die im Grundsatz ebenfalls korrekte Feststellung, dass „Internationale Bürokratien leider nicht den Gesetzen der freien Marktwirtschaft unterliegen“, darf getrost gesagt werden, dass sie sich in Flauberts Wörterbuch der Gemeinplätze wohl fühlen würde.
Nach so viel Übereinstimmung soll es aber auch erlaubt sein, auf kleinere argumentative Unstimmigkeiten hinzuweisen. Man könnte dem Wörtchen „leider“ im obigen Satz beispielsweise vorwerfen, dass es dort eigentlich nicht allzu viel verloren hat: „Internationale Bürokratien“ stellen – und das dürfte wenig überraschen – im Allgemeinen nämlich weder supermarkttaugliche Produkte her, noch bieten sie Dienstleistungen an, für welche eine private kaufkraftgestützte Nachfrage bestehen würde. Anlass zum erstaunten Bedauern gibt es also wenig. Oder anders ausgedrückt: Autos sind nicht leider keine Toaster, sondern: sie sind keine.
Wer also schon bewusst Fortbewegungsmittel mit Haushaltsgeräten bzw. Äpfel mit Birnen vergleicht, müsste folgerichtig und eher unüberrascht zum Schluss kommen, dass gewisse – im Grunde durchaus wünschenswerte – Gesetzmässigkeiten wohl für das eine, nicht aber das andere zutreffen. Ein Auto beispielsweise, mit einem Vanille-Duftbäumchen versehen, kann unter gewissen Umständen den Fahrspass mehren; ein solches im Toaster anzubringen hingegen ist nicht leider, sondern relativ unbestrittenermassen keine besonders gute Idee.
Double standard?
Ähnlich verhält es sich auch mit dem Begriffspaar privatwirtschaftliche Unternehmen und internationale Organisationen. Diese beiden Gruppen heissen nicht nur unterschiedlich, sondern sie machen auch ganz verschiedene Dinge: Während bei der ersten oftmals die Maximierung des Gewinns (unter Nebenbedingungen) im Vordergrund steht, bemühen sich internationale Organisationen um ähnlich wichtige Problembereiche wie Weltfrieden, Klimawandel, soziale Gerechtigkeit und damit verbundene Themen. Unglücklicherweise wurde nun aber schon vor längerem festgestellt, dass für solche Güter keine oder kaum Märkte für Private, welche „heilsam und wohlfahrtsfördernd“ dazu beitragen könnten, innerhalb der internationalen Organisationen zu selektionieren, bestehen. Es sind allesamt Schulbuchbeispiele für Begriffe wie das Trittbrettfahrerproblem oder die (fehlende/unmögliche) Internalisierung externer Effekte.
Angezweifelt wird, ob internationale Organisationen, wie beispielsweise die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), ihren Zweck im Laufe ihres „Lebens“ sollen ändern dürfen, indem sie sich neue Aufgaben geben. Hier wird interessanterweise plötzlich von der – ohnehin ziemlich wackeligen – Analogie zwischen Privaten und internationalen Organisationen abgewichen: Dabei ist es müssig, Beispiele von Unternehmen aufzuzählen, welche im Verlaufe der Zeit völlig neue Geschäftsfelder erschlossen, und dabei andere Bereiche stilllegten.
Einerseits wird also zunächst festgestellt, dass für private Unternehmen ein heilsamer Anpassungsmechanismus existiert. Gleichzeitig wird dieser, soweit er auf internationale Organisationen übertragen werden kann, als Bürokratiewildwuchs abgestempelt; und dies einzig auf der Grundlage, dass am einen Ort der Markt spielt, und am anderen leider nicht. Das ergibt zwar nicht überhaupt keinen Sinn, aber monokausale Erklärungsversuche sind bei komplexen Fragestellungen – und um eine solche handelt es sich hier wohl – im Allgemeinen wenig überzeugend.
Wo gefeiert wird, wird durchaus auch gearbeitet
Wer sich beispielsweise die Mühe macht, nicht nur die Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen herauszustreichen, um eine internationale Organisation unter die Lupe zu nehmen, sondern auch deren „Produkte“ betrachtet, der findet zum Beispiel folgendes: Die kürzlich verabschiedeten, aufdatierten OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen. Diese dürften zwar in gewissen Kreisen auf wenig Begeisterung stossen, wurde doch ganz neu ein eigenständiges Menschenrechtskapitel aufgenommen, welches Unternehmen daran erinnert, dass nicht nur Staaten, sondern eben auch sie selber an der Verantwortung teilhaben, Menschenrechte vor Verletzungen im Rahmen ihrer Aktivitäten zu achten und zu schützen. Dies mag zwar weit davon entfernt sein, was der Marshall-Plan nach dem zweiten Weltkrieg vorsah; aber mit bedeutungsloser, angestrengter „Arbeitsbeschaffung“ hat das dennoch wenig zu tun: Die Relevanz dieser völkerrechtlichen Entwicklung im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte – welche sich im Übrigen kaum mehr aufhalten lässt – kann zum heutigen Zeitpunkt kaum überschätzt werden. Die OECD-Richtlinien leisten hier neben den eben abgeschlossenen Arbeiten des UN-Sonderbeauftragten für Menschenrechte und Wirtschaft wichtige Pionierarbeit.
Man kann sich tatsächlich fragen, welche internationalen Organisationen es überhaupt noch braucht. Da wir festgestellt (oder besser: wiederholt) haben, dass ein von unsichtbarer Hand geführter Selektionsmechanismus in der Tat fehlt, wäre es deshalb hilfreich, mit möglichst vielen sachlichen Argumenten zur Beantwortung dieser Frage anzutreten, anstatt wenig konstruktiv bloss Banalitäten festzustellen und gleichzeitig zu wünschen, sie träfen nicht zu.
Jonatan Niedrig, 29, doktoriert im Bereich Menschenrechte und Wirtschaft. Er ist Mitglied der foraus-Arbeitsgruppen Menschenrechte und humanitäre Politik sowie der Arbeitsgruppe Internationale Organisationen.
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